Wüstentour Marokko 2023

Start mit Hindernissen

Vier Jahre hat es gedauert. Endlich realisieren wir das Geschenk zu Klaus 60. Geburtstag. Eine Tour mit Dromedaren durch die Wüste Marokkos. Zuerst kam Covid, dann unser Radreisejahr. Nun arbeitet Sabine wieder und hat Herbstferien. Auch Sarahs Ferien passen genau in dieses Zeitfenster. Sie kann mit.

Wir schreiben schon im Sommer eine E-Mail an Abdou aus dem kleinen Ort Imlil im Hohen Atlas und telefonieren mit ihm. Er ist Berber und arbeitet als Guide. Wir kennen ihn schon lange. Er hat schon mehrere Touren in den Bergen für uns organisiert und uns begleitet. Nun wollen wir in die Sahara.

Und dann kommt alles anders. Wir sitzen am 8. September gerade beim Abendessen auf einem Familienfest in Dessau als wir davon erfahren. Ein schreckliches Erdbeben in Marokko zerstört viele Dörfer im Hohen Atlas. Es gibt viele Tote und Verletzte.

Auf einer Fläche von rund 150.000 Quadratkilometern war das Beben in Marokko mit Stufe IV oder noch stärker zu spüren. In der Nähe des Epizentrums gab es eine Erschütterung mit Stufe VIII. Tausende Tote liegen unter den Trümmern der zerstörten Dörfer. Und das Epizentrum liegt fast genau in Abdous Heimatort Imlil. Sein Haus bricht entzwei. Es ist unbewohnbar. Die Familie schläft in Zelten. Wir suchen direkt den Kontakt zu Abdou. Er berichtet uns über WhatsApp, dass seine Familie wohlbehalten ist. Die Familie hat Glück im Unglück gehabt. Der materielle Schaden ist enorm. Abdou zeigt uns per Video sein zerstörtes Haus. Wie soll er das jemals wieder aufbauen? Es gibt in Marokko keine Versicherung und keine Hilfe vom Staat. Nur blaue Zelte in der Notsituation. Abdou hatte ein dreigeschossiges Haus für seine große Familie und Gästezimmer für Trekker. Nun ist alles zerstört. Sogar der höchste Berg Marokkos, der Djebel Toubkal, hat einen Teil seines Gipfels verloren.

Wir sind hin- und hergerissen. Sollen wir in dieser Situation wirklich nach Marokko reisen? Abdou möchte, dass wir kommen. Ohne Trekking-Gäste hat er kein Einkommen. Ein Apell in den Medien lautet gleichermaßen: Liebe Touristen, bitte bleibt nicht weg, Marokko lebt von euch! Von Reisen direkt in die Dörfer im Epizentrum wird jedoch abgeraten. Doch wir wollen von Marrakesch aus in die Sahara, 500 km weiter in den Süden. Unser Flug ist schon länger gebucht. Also sagen wir Abdou zu. In mehreren Telefonaten planen wir die Tour. Am 25.10.23 wollen wir Abdou in Marrakesch am Flughafen treffen.

Doch zuvor leidet Klaus an einer Infektion, kann ganze fünf Wochen keinen Sport machen und bangt, dass er bis zu unserem Abflug wieder in Ordnung ist. Sarah muss sich zwei Wochen vor Abreise einem chirurgischen Eingriff unterziehen. Die Voraussetzungen für eine Extremtour in der Wüste sind alles andere als ideal. Und Sabine nervt und fragt beide jeden Tag, ob es besser wird. Ende Oktober sind beide so weit in Ordnung, dass wir starten können.


25./26. Oktober 2023 – Basecamp

Und jetzt stehen sie bereit: unsere Dromedare, die fünf Tage lang unser ganzes Gepäck, Essen und ganz viel Wasser durch die Wüste tragen sollen. In der Zwischenzeit akklimatisieren wir uns im letzten Dorf, M’Hamid, am nördlichen Rand der Sahara. Unser Flug und die Fahrt ca. 500km in den Süden Marokkos waren anstrengend. Youssef, der Taxifahrer, tat uns leid. Während wir die spektakuläre Landschaft über den hohen Pass im Atlas bis ins grüne Draa-Tal mit seinen Kashbas und Dattelpalmen genießen durften, musste er sich konzentrieren. Nur nicht die vorgeschriebene Geschwindigkeit übertreten. Alle paar Kilometer gibt es Polizeikontrollen. Er musste vor allem wach bleiben. Wir drei, Abdou und der junge Cuisinier Mohammad, der für uns in der Wüste kochen soll, wagen uns ab und an ein Nickerchen. Youssef fährt sicher, auch gegen Ende der Fahrt in der Dunkelheit. Die Ortsdurchfahrten sind gefährlich. Rad fahrende Kinder, streunende Hunde, flanierende Frauen und geschäftig debattierende Männer bevölkern den Straßenrand.

Endlich kommen wir auf dem Camp unter Palmen an. Am begrünten Ende des Draa-Tals, sechs Kilometer vor M’Hamid. Danach ist das Draa-Tal immer trocken und es kommt nur noch Sahara. Wir beziehen ein Zelt mit Wänden aus Lehm und genießen den warmen Abend. Es gibt Tee, marokkanischen Salat, Fladenbrot und Tajine. Im aus Lehm gebrannten Schmorgefäß brutzeln Gemüse und Kartoffeln. Zwei junge Männer, Nomaden, die auf dem Camp arbeiten, fragen uns, ob sie Musik machen dürfen. Natürlich dürfen sie das. Welche Frage? Wir hätten was verpasst! Sie sind Teil der fünfköpfigen Taymat Band und verzaubern uns mit ihrer Musik. Der Kreis der Zuhörer wird immer größer. Einheimische, Guides und wir Touristen klatschen und trommeln eifrig mit. Ein toller erster Abend am Rand der Sahara.

Nach der erholsamen Nacht und einem marokkanischen Frühstück wandern wir drei nach M’Hamid. Sechs Kilometer über die heiße Landstraße hin und sechs Kilometer durch noch heißeres Wüstenland mit kleinen Sanddünen wieder zurück. Ein Vorgeschmack auf die nächsten Tagen in der Wüste. Wir müssen viel trinken.

Abdous Planung an Wasservorräten reicht uns nicht. Wir rechnen mit minimal neun Litern Mineralwasser am Tag, drei Liter pro Person. Ungefähr 50 Liter nur für uns. Die Berber trinken Brunnenwasser aus großen Kanistern. Die armen Dromedare müssen viel schleppen. Sie stehen hinter einer Lehmmauer und stöhnen, nein sie röhren, laut. Als wüssten sie, was sie morgen erwartet. Abdou meint auf französisch: „Ils ne sont pas content, ils ne veulent pas travailler.“ Doch das ist nun mal ihr Job.

Einer der schönsten Flughäfen der Welt begrüßt uns
Mit 4 Marokkohits in Dauerschleife bis in die Wüste, 9 Stunden Fahrt!
Unser Basecamp, eine Oase am Rand der Wüste
Unser erster Sand- und Hitzekontakt
Wer geht hier zum Coiffeur?
Zwei Musiker der Taymat-Band begeistern uns…
… und die Katze im Hintergrund!!

27. Oktober 2023 – Aufbruch

Wir sind schon früh wach. Mohammad macht uns Frühstück mit obligatorischem Minztee und auch Kaffee. Wir würden gerne früh los. Bevor es zu heiß wird. Doch es dauert bis die drei Dromedare gepackt sind. Ahmed, unser Chamelier, der Kameltreiber, gibt den Dromedaren noch Wasser und Futter. Wir sitzen nur da und schauen zu. Helfen können wir nicht. Unsere drei Begleiter haben ihr eigenes, etwas chaotisches System. Dann ist alles verstaut. Die armen Packtiere. Das Gepäck türmt sich auf ihren Rücken und seitlich hängen die Wasserkanister. Als unsere kleine Karawane endlich losmarschiert, brennt die Sonne schon gnadenlos. Sand und Steine wechseln sich ab. Es gibt einige wenige Pflanzen in der Wüste. Tamarisken, die zu unseren Lieblingspflanzen werden. Tamarisken sind Bäume, die in der Sahara uralt werden können. Ihr Alter sieht man ihnen nicht an. Oft werden wir unter beeindruckenden Exemplaren unsere Mittagsrast machen. Sie spenden uns Schatten. Dann gibt es auf einer Steinwüstenfläche noch Pflanzen, die aussehen wie Drachenbäume. Sie haben teilweise noch Blüten oder auch Früchte, wie Avocados. Abdou nennt uns den arabischen Namen und warnt vor Berührung. Auch die Dromedare halten Abstand. Zuhause informieren wir uns über die merkwürdige Pflanze. Auf Deutsch heißt sie Sodomsapfel, sie wird auch Turha genannt und ist der meistverbreitete über 1 Meter hohe Strauch in der Sahara Wüste. Die Wolfsmilch in ihrem Innern ist giftig.

Mächtige Lasten sind zu packen…
… und zu schleppen. Unsere kleine Karawane
Der Regen der letzten Woche ist wohl in Sekunden getrocknet.
Die Turha, der Sodomsapfel
Eine Tamariske bietet den einzigen Schatten…
… für die absolut notwendige Pause mit Siesta.

Es ist heiß. Wir verhüllen unsere Köpfe mit Tüchern. Einen kunstvoll gewickelten Turban, wie der unseres Chameliers, bekommen wir nicht hin. Ahmed, ist Nomade, ein Tuareg. Die Tuareg sind ein Berbervolk. Die Kleidung der Nomaden ist geschlechtsspezifisch. Männer tragen eine lange Hose und ein langes, bis zu den Knöcheln reichendes Übergewand, tekatkat, und den Gesichtsschleier, eshesh, um den Mund zu verdecken, da Körperöffnungen als unrein gelten. Außerdem ist es üblich, dass sich Männer vor Frauen verschleiern. Auch unser Kameltreiber Ahmed ist verschleiert. Er zieht sein Tuch aber nicht nur über den Mund, wenn Sarah und Sabine dabei sind, sondern auch vor den Männern. Vielleicht will er sich aber auch vor den Geistern der Toten, schützen, die versuchen, über den Mund Besitz von den Lebenden zu ergreifen. Diese Interpretation des eshesh gibt es auch für Männer, die häufig in der Wüste und in den Bergen unterwegs sind. Zudem bietet sie Schutz vor Sonne, Sand und Wind und verringert die Körperaustrocknung. Das Tuch ist, das haben wir nachgelesen, zwischen 2,5 Meter und 15 Meter lang, je nachdem, ob es sich um einen jungen Mann oder eine respektgebietende ältere Persönlichkeit handelt. Und Ahmed strahlt in seinem Gewand und seinem Turban sehr viel Würde aus. Die Frauen der Tuareg müssen sich übrigens nicht verschleiern.

Unter einer großen Tamariske machen wir zwei Stunden Rast. Mohammad verwöhnt uns mit Salat und Tee. Nach der Pause weht etwas Wind und es gibt ein paar Wolken. Einige Stellen auf dem Boden sehen aus, als hätte es mal geregnet. Vor einer Woche gab es Regen in der Region, erzählt Abdou. Bis zu unserem Übernachtungsplatz ist es nicht mehr weit. Über 20 Kilometer sind wir heute gelaufen. Wir bauen die Zelte zwischen Sanddünen auf. In der Nähe ist ein Brunnen, Deutsche hätten ihn gebaut. Kaum losgebunden und ihres Gepäcks entledigt, schreiten die drei Dromedare mit langen Schritten direkt dort hin. Wir spazieren nach. Wenn die Sonne scheint, wird eine Pumpe durch eine Photovoltaikanlage angetrieben. Aus dem bestimmt 20m tiefen Brunnen wird Wasser nach oben befördert und in Becken gepumpt. Die Sonne ist schon am Untergehen, frisches Wasser gibt es erst morgen wieder. Die Dromedare stillen trotzdem ihren Durst an den Wasserbecken. Die nächsten Tage werden sie kein Wasser mehr bekommen. Sie trinken und kommen brav zurück zum Zeltcamp. Die Sanddünen leuchten in der Abendsonne. Dann erscheint ein riesiger Vollmond. Er beleuchtet die Wüste, als wäre die Sonne wieder aufgegangen. Lange sitzen wir auf unseren Matten vor dem Zelt und genießen den kühlen Abend in der Sahara.

Steine, Sand und Hitze
An dem einzigen Brunnen unserer Tour freuen sich die Dromedare
Der Himmel über der Wüste!

28.Oktober 2023 – Steinwüste

Von den Dünen geht es in eine riesige flache Steinwüste. Ohne Sträucher und ohne Tamarisken. Und Sarah hat ein Problem mit ihrer Verdauung. Sie leidet massiv unter Verstopfung. Sie hat Schmerzen und hält alle paar Kilometer längere Zeit an. Ohne Erfolg. Ausgerechnet in dieser flachen Landschaft ohne Büsche. Wir kommen nicht voran. Es wird heißer und heißer. Sarah stöhnt vor Schmerzen. Irgendwann, nach unzähligen Versuchen, schafft sie es, sich zu erleichtern. Wir können normal weiter gehen. Auf die Mittagspause verzichten wir heute. Es gibt nirgendwo Schatten.

Schrittfrequenz Dromedar vs. Mensch!
Die Steinwüsten sind am anstrengensten, für Kopf und Füße

Doch unser abendlicher Rastplatz an einer großen Tamariske, zwischen wunderschönen Dünen, entschädigt uns für alle Strapazen. Wir klettern auf die höchsten Dünen und genießen den grandiosen Ausblick. Am späten Nachmittag dieses Herbsttages ist die Temperatur von mehr als 40 Grad auf angenehme 18 Grad gesunken. Die Dünen nehmen einen rot-orangenen Farbton an, die Schatten der tief stehenden Sonne modellieren die Landschaft. Die blaue Stunde vor der Dämmerung wird wie gestern schon früh durch den Vollmond gestört. Es wird nicht dunkel. Der Mond hat heute eine besondere Überraschung für uns: eine Eclipse, eine partielle Mondfinsternis. Der Mond durchquert den Schatten, den die von der Sonne beleuchtete Erde in den Weltraum wirft. Sonne, Erde und Mond liegen fast genau auf einer Linie. Fast, denn nur 12 % des Mondes wird verdunkelt. Trotzdem interessant und für uns auf unseren Matten unter der Tamariske liegend so was wie Himmelsfernsehen. Stundenlang schauen wir in den Himmel über der Wüste und verfolgen die Planeten.

Belohnung am Ende der heutigen Etappe…
Die Drei freuen sich…
… über den Blick über die Dünen.
Zauberkamel mit zwei Schatten!
Unser Camp bei Sonnenuntergang…
… und Mondaufgang. Honeymoon!
Abdou war heute nicht ausgelastet.
Wir bewundern nach dem Wüsten-Dinner…
… den Mond…
… mit dem heutigen Höhepunkt einer partiellen Eclipse.

29. Oktober 2023 – Sarahs Geburtstag in der Sahara

Sarah hat Geburtstag. Sie wird 30 Jahre alt. Ein ganz besonderer Tag. Leider kann sie ihn nicht so ganz genießen. Auf die Verstopfung folgt nun Durchfall. Mit Bauchschmerzen und leichtem Fieber. Das arme Geburtstagskind. Doch Sarah ist eine Kämpferin. Sie wandert tapfer weiter. Wieder halten wir dauernd an. Diesmal gibt es sogar kleine Büsche und Dünen.

Wieder spendet uns der typische Wüstenbaum Schatten für die Pause in der Mittagshitze. Wir verzichten ab jetzt auf Salat. Auch in den Bäuchen von Sabine und Klaus fängt es an zu rumoren. Mohammad serviert uns nur noch gekochte Lebensmittel. Schon einige Tropfen Brunnenwasser zum Salat waschen reichen aus, unsere empfindlichen europäischen Mägen zu infizieren. An die marokkanische Mikroflora sind wir nicht gewöhnt. Und Sarah ist am empfindlichsten. Sie erholt sich etwas in der Pause. Fast drei Stunden liegen wir da und dösen. Gut, dass es die Tamarisken gibt. Dass sie in diesem Stein- und Sandmeer existieren können, ist ein Wunder. Wir erfahren, dass sie nicht nur dem Sand, sondern auch dem Salz der ausgetrockneten Seen oder Flussläufen wie dem Draa trotzen. Kein anderer Baum hat so eine hohe Salztoleranz. Das Salz wird über spezielle Drüsen an den Blättchen wieder ausgeschieden. Vielleicht schmecken sie deshalb auch unseren Dromedaren so gut.

Die heutige Steinwüste bringt uns zum…
… ausgetrockneten Draa-Tal. Karawanen-Begegnung.
Der elegant federnde Schritt der Dromedare

Es geht weiter. Über eine weite Steinebene. Die Sonne ist im Dunst kaum noch zu sehen. Wir sind in einem Sandsturm. Mit unseren Tüchern versuchen wir uns vor dem aufgewirbelten Staub zu schützen. Er weht durch Mund und Nase und in alle Kleidungsstücke. In der Ferne sind hohe Dünen zu sehen. Unser heutiges Ziel. In den Dünen ist der Sand etwas schwerer. Er weht über den Rand der Dünen, jedoch nicht mehr als Staub in der Luft.

Ein Sandsturm vernebelt die Luft und unsere Augen, Ohren und Nasen.
Unser heutiges Tagesziel im Blick, die Zahra Lion Dune

Vor der größten Düne, der Zahra Lion Dune, hält unser Chamelier Ahmed an. Hier soll unser Lager sein. Die Dromedare werden entladen. Wir gehen weiter. Auf den Gipfel der Düne, eine der höchsten in Marokko. Es ist steil und anstrengend. Im lockeren Sand rutschen wir immer wieder ein Stück zurück. Endlich sind wir oben. Zwei deutsche Touristen und ihr Guide begrüßen uns. Der Ausblick über die Sanddünen der Sahara ist grandios. In der Ferne sehen wir die Berge an der Grenze zu Algerien. Es ist Sarahs Geburtstagsgeschenk. Die Probleme von unterwegs sind in diesem Moment vergessen. Wir sind berührt und beeindruckt von der Schönheit der Landschaft. Es ist der Höhepunkt unserer Wüstentour.

Kurz vorher lässt der Sturm ein wenig nach…
… und gibt den Blick frei…
… zu einer der höchsten Dünen Marokkos.
Zwei Schritte vor, einer zurück…
… bis zur windumtosten 100 m hohen Dünenspitze.
Geschafft !!!
Unbeschreiblich !!!

Der Abstieg ist einfach. Einfach laufen lassen. Nur auf die Schlangen sollten wir achtgeben, warnt uns der Guide der beiden Deutschen. Ungefähr 30 Touristen kommen uns entgegen. Sie sind mit Geländewagen bis zum Fuß der Dünen gefahren und laufen barfuß. Trotz der Schlangen und Skorpione. Abdou steigt auch noch hoch und schimpft über den Leichtsinn.

Einfacherer? Abstieg zu unserem Camp.

Unten im Dünencamp wartet Mohammad mit dem Tee. Am Abend verwöhnt er uns mit einer Tajine Berbere aus Kartoffeln, Tomaten und Ei. Auch Sarah kann ihr Geburtstagsessen genießen, trotz Bauchschmerzen. Der Wind flaut ab. Unser Abendprogramm ähnelt dem der vergangenen Tage: wir liegen auf unseren Matten und schauen in den Himmel. Nur schade, dass der Vollmond zu hell ist für die Milchstraße. Sonst ist er perfekt: Sarahs Geburtstag in der Sahara.

Das Geburtstagsmenü

30. Oktober 2023 – Wo gibt es Schatten?

Sanddünen, Steinwüsten und Wadis zwischen den Dünen wechseln sich ab. Irgendwo ist hier auch noch das Draa-Tal. Ohne einen Tropfen Wasser. Wir kommen gut voran. Sarah geht es immer noch nicht besser. Bei jedem Halt verbraucht sie kostbares Trinkwasser um ihre Operationswunde zu spülen. Dabei haben wir mächtigen Durst. Wir begnügen uns mit unserer Wasserration. Sarah träumt von einer kalten Cola. In der Ferne schimmert der heiße Boden. Es sieht aus wie ein riesiger See, eine Fata Morgana, eine Luftspiegelung. Ein Bad in einem See wäre toll. Doch es gibt keinen See, keine Dusche und wenig Wasser zum Trinken. Wir treffen andere Karawanen. Mit und ohne Touristen. Über eine Stunde suchen wir nach einem Baum zum Rasten. Ohne Schatten unmöglich. Es gibt einige Tamarisken auf Lehmhügeln, die keinen Schatten werfen. Der Nomade Ahmed kennt seine Wüste. Er findet endlich eine große Tamariske. Schatten für uns und Futter für die Dromedare. Sie fressen quasi den Schatten über unseren Köpfen ab.

Wir verabschieden uns von der…
… Erg Zahra
Zwei ziemlich beste Freunde
Blinde Passagiere
Am Horizont die Grenzbege zu Algerien
Die Steinhügel sind Gräber aus den Kriegen mit Algerien

Ein Geländewagen hält an. So ein Zufall. Mitten in der Wüste. Es ist der Chef des Camps bei M’Hamid, von dem wir gestartet sind und das ganze Material bekamen. Und das Zuhause unserer drei Dromedare. Er versorgt uns mit einem Kanister Wasser und Orangen. Auch die Dromedare dürfen trinken. Gestern sind sie in der Mittagspause mit ihren zusammen gebundenen Beine zu einer Stelle mit rotem, salzigem Wasser gehumpelt. Erfolglos. Es war ungenießbar. Heute freuen sie sich besonders über die Orangenschalen.

Wir begegnen einem einzigen Jeep und der ist von unserem Basecamp!

Wir haben unsere tierischen Begleiter ein bisschen in unser Herz geschlossen. Sarah gibt ihnen Namen. Es gibt das Lapplippendromedar, das die Unterlippe immer hängen lässt, den Schönling, der so schön gelockt ist, und den Chef, der die beiden anderen immer vom Futter vertreibt. Ahmed umsorgt sie und sie gehorchen ihm.

Das Lapplippendromedar

Sie gehören zu der Familie der Kamele, haben aber im Gegensatz zum zweihöckrigen Trampeltier nur einen einzigen Höcker. Der Rückenhöcker enthält nicht, wie oft vermutet, Wasser, sondern Fettvorräte, die das Tier bei Futtermangel verbrennen kann, um Energie zu gewinnen. Sie haben die Fähigkeit, lange ohne Wasser auszukommen, sie scheiden wenig Urin aus und Wasservorräte können sie in ihrem Magen anlegen.

Die Körpertemperatur von Dromedaren sinkt während der Nacht sehr stark ab, so dass tagsüber der Körper sich nur langsam aufwärmt und die Tiere lange Zeit nicht zu schwitzen brauchen. Ganz im Gegensatz zu uns.

Der Schönling setzt sich toll in Szene

Es weht ein angenehmer Wind, die Sonne wird von Wolken bedeckt. Nur staubig ist es. Wir wandern weiter zu unserem abendlichen Camp wieder an einem Baum zwischen kleineren Dünen. Es klart auf. Unsere drei Begleiter bauen wie jeden Abend das Beduinenzelt aus schwerem schwarzem Stoff auf. Wir sind schnell fertig mit unseren beiden kleinen Zelten. Das Innenzelt genügt. Es ist immer über 15 Grad in der Nacht. Warum haben wir eigentlich dicke Jacken mitgenommen? Wir dachten, in der Wüste wäre es nachts eiskalt. Heute jedenfalls nicht.

Die Abfahrt
… und deren Ausbeute.
Idyllisches letztes Wüstencamp

Ahmed hat eine Überraschung für uns. Er sammelt Unmengen von abgestorbenen Tamariskenholz. Dann macht er Feuer bis er genügend Holzkohle hergestellt hat. Er hat einen Teig vorbereitet, aus Mehl, Wasser und Salz. Daraus will er ein Fladenbrot backen. Er schiebt die Holzkohle zur Seite und gräbt für den Teig eine Grube in den heißen Sand. Darin findet der Backprozess statt. Die Grube wird geschlossen und die Holzkohle darüber geschoben. Mit einem Stab prüft er, ob es gar ist. Holzkohle und Sand werden entfernt. Es schmeckt total lecker. Es nennt sich Taguella. Die Art der Zubereitung ist typisch für das Nomadenleben der Tuareg. Es lässt sich leicht zubereiten und man braucht kein Geschirr dazu.

Ahmed ist in seinem Element. Er zeigt sich weniger zurückhaltend und lässt sich sogar mit Sarah fotografieren. Jedoch mit Gesichtsbedeckung. Es ist unsere letzte Nacht im Zelt. Morgen geht es zurück nach M’Hamid. Gut so. Wir werden das letzte Trinkwasser verbrauchen.

Nach dem Backen im Sand ein bisschen abklopfen – fertig!
Am letzten Abend wird noch einmal richtig gefeiert

31. Oktober 2023 – Wir kämpfen uns ins Ziel

Heute bereitet uns Mohammad ein besonderes Frühstück. Es gibt einen Getreidebrei. Er gibt Kraft für einen langen anstrengenden Tag. Doch was ist das? Er schmeckt salzig. Etwas ungewöhnlich. Mit Marmelade geht`s. Und Salz können wir gebrauchen, bei dem vielen Schwitzen. Besonders Sarah mit ihrer Durchfallerkrankung. Sie hat ihre Elektrolytlösung, die sie immer zu ihren Freiwasserwettkämpfen mitgenommen hat, zuhause vergessen. Jetzt hätte sie sie gebrauchen können. Doch der salzige Getreidebrei der Berber geht auch. Danach gibt es sogar noch ein Omlette. Dass die frischen Eier auf den Dromedaren die ganze Zeit gehalten haben, ist erstaunlich. Auch Obst und Gemüse in den Korbtaschen sind immer noch genießbar. Ohne Kühlschrank. In der Hitze der Sahara.

Heute ist es besonders heiß. Unser heißester Tag bisher. Um Kräfte zu sparen ist Sarah in ihrer Freiwasser-Kariere meist im Wasserschatten anderer Schwimmerinnen geschwommen. Beim Rad fahren nutzen wir den Windschatten aus. Heute suchen wir den Schatten der Dromedare. Drei Dromedare und drei Mal Schatten. Wir versuchen, mit den großen Tieren Schritt zu halten. Wir müssen schnell marschieren. Dromedare haben eine große Schrittlänge. Sarah checkt unseren Schnitt auf ihrer Smartwatch. Wir gehen in einem flotten Tempo. Doch wir werden von Kilometer zu Kilometer langsamer. Es wird immer heißer. Und alle haben Blasen an den Füßen. Die Füße schwellen auf dem heißen Boden an und sind immer voller Sand. Sarah und Klaus humpeln um die Wette. Auch Abdou hat Blasen. Nur Ahmed schreitet mit seinen offenen Schlappen genauso elegant wie seine Dromedare. Er ist eben ein Mann der Wüste.

Die Hitze macht besonders Sarah zu schaffen. Sie ist eh schon etwas geschwächt von ihrer Erkrankung. Und mit ihren roten Haaren und Sommersprossen eher ein Typ Nordland und nicht Wüste. Sie hat Angst vor einem Sonnenstich oder Hitzschlag. Trotz Tuch und Mütze auf dem Kopf ist ihr schlecht. Sie will nur noch Schatten, Wasser und fantasiert von einer kalten Cola. Bis zum Camp sind es fast 20 Kilometer bei 40 Grad und mehr. Unsere Komfortzone haben wir längstens verlassen. Es ist eine Grenzerfahrung.

Nach dem Sonnenaufgang…
… gehts zunächst nochmal im Sandsturm weiter.
Zweimal Lapplippe und einmal 5-Tage-Bart

Mitten in der Steinwüste stehen Akazien. Unter dem weit und breit einzigen großen Baum machen wir eine kurze Rast. Zum Leidwesen der Dromedare gibt es keine Tamarisken. Die Akazien haben unter ihren Blättern und am Stamm bis zu sechs Zentimeter lange Dornen. Dromedare sind dadurch nicht ihre Fressfeinde. Und ihr Überleben in der Wüste sichern sie durch ihr Wurzelsystem. Das Wurzelsystem der Akazien ist eins der längsten, die man auf der Welt finden kann. Es wird über 40 Meter lang und reicht bis ins Grundwasser. So nehmen Akazien keinen Schaden bei längerer Trockenzeit.

Im Schatten der Dromedare retten wir uns zum einzigen…
… Baum vor dem Fata Morgana See.
Schatten, Wasser…
… die letzte mehr als notwendige Pause
Rot glühende Wüstenhitze

Der Weg über riesige Steinwüsten bis zum Horizont zieht sich. Endlich queren wir das Draa-Tal. Die ersten Dattelpalmen tauchen auf. Sabine ist noch recht fit. Nach einem kurzen Stopp sagt sie zu Sarah und Klaus: „Watschelt ihr schon mal vor, ich komme nach.“ Nach Gehen sieht das bei den beiden nicht mehr aus. Total überhitzt erreichen wir das Camp. Sarah hätte keinen Kilometer mehr weitergekonnt. Mohammad besorgt ihr eine kalte Cola. Im Schatten kehren die Kräfte zurück. Geschafft! Wir sind im Ziel.

Für wen dieser Wegweiser ist?
Wir watscheln an der Markierung des Marathon des Sables vorbei,
eine für uns unvorstellbare Tortur für geschwollene und versandete Füße.
Wir nähern uns dem Vorort von M’Hamid
Noch einen Kilometer…
…die tagelangen Fantasien werden Wirklichkeit.

Abdou schlägt uns einen Ritt auf unseren Dromedaren vor. Bisher sind wir nur mit ihnen gelaufen. Wir wagen uns erst am späten Nachmittag wieder aus dem Schatten. Durch die Dattelhaine geht es eine kurze Runde auf den Kamelen. Fünf Tage haben sie treu unsere Ausrüstung getragen. Nun stapfen sie auch noch mit uns auf dem Rücken durch den Sand. Wahre Wüstenschiffe ohne die ein Leben in der Sahara nicht möglich wäre. Wir sind froh, dass sie uns die Tour ermöglicht haben.

Jetzt lassen wir uns als Touristen ausführen

Unser Dank gilt natürlich auch unseren menschlichen Begleitern. Abdou, unserem Guide und Organisator der Tour, Mohammad, unserem Cuisinier, und Ahmed, unserem Chamelier. Ohne unsere sechs Begleiter wäre eine Wanderung durch die Sahara unvorstellbar.


01. November 2023 – Eine Stadt wie im Märchen

Unsere kurze Expedition ist zu Ende. Die nächsten drei Tage sind wir Touristen. Ein touristisches Programm in der Sahara wollten wir nicht. Wir haben Komfortverzicht und Anstrengung gewählt. Nur so ist für uns die Sahara so richtig erlebbar. Lange Märsche, Hitze, Staub, Mücken, keine Waschgelegenheit und ein Sandloch als Toilette, Schlafen im Zelt und immer durstig… das ist Sahara. Abdou hat uns bewusst um alle Touristenziele herumgeführt und die Stille gesucht. Wir haben nicht in fünf Sterne Luxuscamps mit Glampingzelten und fließendem Wasser, Mehr-Gänge-Menus und Abendanimation übernachtet. Solche Camps gibt es vor allem an der höchsten Düne der Region, der Erg Chegaga. Laufen müssen die Gäste auch nicht, es gibt ja 4×4-Geländewagen. Für unsere Karawane haben wir fernab dieser Ziele tolle Übernachtungscamps gefunden. Und Schlafen im halboffenen Zelt im Vollmondlicht und die absolute Stille in der Nacht tauschen wir auf keinen Fall gegen Luxus ein. Doch ab heute schlafen wir in Hotels.

Mit Youssef unserem Taxifahrer fahren wir in Richtung Marrakesch. Wir fahren durch die Dattelpalmen des Draa-Tals. Das Vallee du Draa ist circa 200km lang. Es ist eines der schönsten Täler Marokkos. Besonders, wenn der Draa Wasser führt. Doch Wasser hat er immer weniger. Bei M’Hamid versickert er. Sein ursprüngliches Flussbett erstreckt sich von Ouarzazate über 1100km bis zur Atlantikküste. Bis M’Hamid gibt es Dattelplantagen und grüne Felder. Danach nur noch Wüste. Und die Wüste rückt immer weiter in Richtung Norden. Viele Dattelpalmen sehen mangels Wasser ausgetrocknet aus. Viele sterben ab. Nur noch die Palmen mit künstlicher Bewässerung tragen Früchte. Abdou sorgt sich um die Lebensgrundlage der Bewohner des Tales. Ohne Datteln, die in alle Welt verkauft werden, verlieren sie ihr Einkommen. Der Klimawandel ist hier massiv spürbar.

Es geht zurück durch das Draa-Tal
Der Dattelmarkt in Agdz
Abdou und Youssef verhandeln die Dattelpreise
Über den Antiatlas

Auf halber Strecke erreichen wir die größte Kasbah Marokkos: Ait Ben Haddou. Vor Jahren, auf unserer ersten Marokkoreise, waren wir schon einmal dort. Es ist eine gigantische Sandburg auf einem kleinen Hügel, davor ein Fluss Assif Mellah, in dem sogar Wasser fließt, und Dattel- und Olivenhaine. Ait Ben Haddou besteht aus zwei Teilen: einem alten Dorf, das seit 1987 Weltkulturerbe der UNESCO ist, sowie einem neuen Dorf, wo heute eigentlich alle Einwohner leben. Sie leben vorwiegend vom Tourismus.

Die Kasbah ist aus Lehmwänden und mehr als 400 Jahre alt. Die Mauern mit ihren Ornamenten fallen bei einem Platzregen teilweise in sich zusammen und müssen wieder hergerichtet werden. Wie eine riesige Burg wirkt die Kasbah. Sie besteht aus eng aneinander gebauten und teilweise ineinander verschachtelten Wohnburgen mit Ecktürmen und Zinnen (sog. Tighremts). Die Wände sind mit Sandornamenten geschmückt.  Ein Tighremt ist meist dreistöckig und mit vier Ecktürmen versehen. Die Berber in den ehemals abgelegenen Bergregionen Südmarokkos mussten sich über Jahrhunderte selbst versorgen und verteidigen. Jede Familie stellte ihre Haupt-Nahrungsmittel sowie Geschirr und Werkzeuge selbst her und war gezwungen, ihren Besitz gegen Fremde zu verteidigen. Ein Tighremt bot alle notwendigen architektonischen Voraussetzungen dafür. Heute leben nur noch wenige Menschen in dem alten Teil der Stadt. Es gibt keinen Strom und selten Wasser. Die Wüstenstadt ist eine sogenannte Ksar. In Marokko tragen große befestigte Anlagen auf dem Land diesen Namen.

Wir beziehen unser Hotel im neuen Teil. Von hier aus haben wir einen tollen Blick auf die Kasbah. Und auf die Busladungen von Touristen, die von Marrakesch hierher gekarrt werden. Wir besuchen die Kasbah in der Abendsonne. Die meisten Busse sind wieder abgefahren. Mit ihnen die Filmfans aus aller Welt, die hier die Drehorte von „Kundun”, „Gladiator”, „Lawrence von Arabien”, „Game of Thrones”, auch „Himmel über der Wüste”, einer von Sabines Lieblingsfilmen, und vielen anderen Produktionen besichtigen wollen. Wir haben die Kasbah fast für uns alleine. Im Streiflicht und Abendrot sieht die Sandburg aus wie aus einem Märchen aus 1000 und 1 Nacht. Sogar Störche nisten hier. Wir tauchen ab in das Labyrinth aus Gassen. Ein Hauptweg führt durch die vielen kleinen Gassen, immer weiter nach oben. Es gibt zwei sehr schöne Aussichtspunkte. Der eine ist direkt oberhalb der Stadt. Von hier aus blicken wir auf die Dächer der Stadt und bis zu den Gipfeln des Atlas-Gebirges. Der Kontrast ist wunderbar. Der Turm ganz oben auf dem Hügel ist dem Erdbeben vom September zum Opfer gefallen, erzählt uns Abdou. Seine Trümmer sind über den Hügel verstreut. Sonst hat die Kasbah scheinbar Glück gehabt. Der zweite Aussichtspunkt ist ein Hügel außerhalb der Stadt. Von hier haben wir die komplette Stadt im Blick.

Ait Ben Haddou
Bröckelnde Lehmmauern
Sabine genießt die tolle Aussicht
Abdou möchte Sarah ein verspätetes Geburtstagsgeschenk machen
In der Abendsonne

Nach dem Essen im Hotel sitzen wir noch lange mit Abdou zusammen. Er erzählt uns von seinen Problemen mit seinem zerstörten Haus in Imlil und dem marokkanischen Staat. Er kann keinen Kredit aufnehmen. Das verbietet einerseits seine Religion und andererseits seine Angst, einmal die Raten nicht zahlen zu können. Dann sitzt seine Familie auf der Straße. So muss er das Haus nach und nach wieder aufbauen. Ein ganzes Jahr wohnt die Familie zur Miete in der Nähe von Marrakesch. Einen kürzeren Mietvertag hat der Vermieter nicht akzeptiert. So hat Abdou ein Jahr Zeit. Es ist nicht leicht für ihn. Er verdient hauptsächlich Geld mit seinen Berg- und Wüstentouren. Jetzt bekommt er auch Spenden von ehemaligen Klienten. Doch die kommen nicht immer an. Ein Belgier hat ihm eine große Spende auf das marokkanische Bankkonto seines Bruders überwiesen. Die Bank hält einfach das Geld zurück und behauptet, dass es nie ankam. Wehren kann er sich nicht. Eine Spende eines deutschen Paares haben wir ihm in bar mitgebracht, nachdem es auf unser Konto überwiesen wurde.

Abdou erzählt nicht nur von seinen Problemen. Er hat einen Traum: einmal nach Europa reisen. Vielleicht hat er eine Chance, ihn zu verwirklichen. Ein französisch-marokkanisches Paar hat ihn nach Montpellier eingeladen. Als Dank für seine Bauleitung bei Ihrem Ferienhaus in Imlil. Wir drücken ihm die Daumen.


02. November 2023 – Das laute und bunte Marrakesch

Youssef, der Taxifahrer, holt uns morgens ab. Abdou hat ihm früher mal geholfen und nun springt er immer für solch lange Fahrten ein. Er fährt uns sogar über eine Seitenstraße auf den Tizi n’Tichka-Pass. Die beiden Wörter tizi und tichka kommen aus der Berbersprache – tizi bedeutet so viel wie „Bergwiese“ und tichka „gefährlich“. Gefährlich war unsere Seitenstraße noch vor Jahren. Wir haben uns bei unserer ersten Reise nicht getraut, sie zu fahren. An einer Furt haben wir damals umgedreht und die Hauptstraße genommen.

Heute ist sie eng, aber komplett asphaltiert, mit Brücken. Eine tolle Route für Radfahrer. Es ist eine wundervolle Strecke durch den Hohen Atlas. Es gibt Lehmdörfer der Berber und grüne Täler. Auf all unseren Marokkoreisen hat uns diese Landschaft so unglaublich fasziniert. Irgendwie hat uns diese karge, schroffe Landschaft in ihren Bann gezogen.

Zwischen den Häusern stehen immer wieder blaue Zelte. Notunterkünfte für Familien, deren Haus durch das Erdbeben zerstört wurde. In der prallen Sonne. Bald kommt der Winter. Wir sind jetzt fast auf 2000m über dem Meeresspiegel. In diesen Höhen wird es bald kalt und es liegt Schnee. Was wird dann aus den Menschen?

Wir fahren durch Telouet. Die riesige Kasbah, die das Ortsbild geprägt hat, ist in sich zusammengefallen. Ob sie jemals wieder aufgebaut wird? Zuerst müsste der Staat mal den Menschen helfen. Über eine asphaltierte, aber schlaglochreiche Straße erreichen wir den 2260 Meter hohen Tizi n’Tichka-Pass. Heute haben wir Zeit für einen Fotostopp. Wir kommen auf die N9, die Marrakesch mit Ouarzazate verbindet. Jeder der von der Sahara in Richtung Marrakesch beziehungsweise den Küstenstädten des Nordwestens fährt, muss den Pass zwangsläufig überwinden. Die Straße ist neuerdings gut ausgebaut und muss selbst bei heftigen Schneefällen im Winter meist nur kurzzeitig geschlossen werden. Ein paar Kilometer unterhalb des Passes kaufen wir teures Arganöl. Wir unterstützen damit die Kooperative, die es Frauen ermöglicht, zu arbeiten. In Marokko keine Selbstverständlichkeit.

Schwerlastverkehr
Die vom Erdbeben zerstörte Kasbah Telouet
Der Blick vom zweithöchsten Pass Marokkos…
205er Nostalgie-Rally macht Station auf dem 2.260 m hohen Col du Tichka.
Einnahmequelle für die Frauen: Arganölproduktion

Der Verkehr in Richtung Marrakesch nimmt zu. Wir verlassen die Berge. Unsere drei Begleiter sind nicht begeistert von der riesigen lauten Stadt. Der Taxifahrer stammt aus der Sahara und die beiden Berber Abdou und Mohammad aus den Bergen. Wir verabschieden uns mitten in der Stadt, in der Nähe des Djemaa el Fnaa, dem zentralen Marktplatz in Marrakesch. Es muss schnell geht. Youssef hält an einer Tankstelle, wir laden unsere Taschen vom Dachgepäckträger. „A la prochaine fois, inshallah“, verabschieden wir uns von Abdou und Mohammad. Hinter uns wird gehupt. Mit unseren Packsäcken auf dem Rücken stapfen wir los. Über den riesigen Platz in Richtung Medina.

Ist das ein Chaos hier. Mopeds umfahren hupend tausende Fußgänger. Es stinkt nach Abgasen und Urin der Fiakerpferde. Vor allem ist es laut. Ein Kulturschock nach der Stille der Wüste. Motorlärm, trommelnde Wasserverkäufer, Flöte spielende Schlangenbeschwörer, laut rufende Obstsaftverkäufer und viele, viele Menschen. Der Platz ist das Touristenziel in Marrakesch. Er besitzt eine orientalische Atmosphäre. An den Abenden herrscht ein wildes Treiben aus kostümierten Gauklern und Schlangenbeschwörern, angeleinten Affen, Geschichtenerzählern, sowie Frauen, die Hennamalereien anbieten und Musikern, es gibt Verkaufsstände, an denen unnützer Krimskrams oder kulinarische Spezialitäten der Region gereicht werden. Alle rufen, schreien, hupen… Ein interessantes Durcheinander. Der Kontrast zur Wüste könnte nicht größer sein.

Bis zu unserem Hotel ist es nicht weit. Wir gehen durch die engen Gassen der Medina. Und sind erschrocken über das Ausmaß der Zerstörung durch das Erdbeben. Im Internet hatten wir gelesen, dass Marrakesch kaum was abbekommen hätte. Das sieht hier aber ganz anders aus. Neben völlig intakt aussehenden Gebäuden gibt es unzählige Gebäude, die zusammengefallen sind. Überall Risse, die zugespachtelt werden. Und massenhaft Gerüste und Gebäude, mit simplen Holzkonstruktionen abgestützt. Ob die wirklich den Lasten standhalten? Viele Minarette sind zerstört. Nur von wenigen können die Muezzine noch zum Gebet rufen. Auch die Spitze der Koutoubia, dem größten Minarett Marrakeschs, ist von einem Stützkorsett umgeben. So ganz wohl ist uns nicht. Sabines Meinung: „In Deutschland würde man die ganze Medina auf Jahre sperren“. Hier unternimmt man neben Abbrucharbeiten eher kosmetische Reparaturen.

Auf dem Djema el Fna in Marrakesch
Wo ist die Ruhe und Einsamkeit der Wüste geblieben?
Eine Hälfte eines Riads ist vom Erdbeben zerstört
Überall in der Medina treffen wir auf…
… Erdbebenzerstörungen.

Wir trauen uns trotzdem in die Souks und staunen über die vielen kleinen Handwerksbetriebe. Vieles was hier verkauft wird, wird mit großem Können handwerklich hergestellt. Und dann billig verkauft. Nach obligatorischem Feilschen.

Buntes Shopping…
… in den Souks…
Die marokkanische Patisserie
Interessante Kunst im Frauenmuseum

Für den Abend haben wir noch was besonders geplant. Wir reservieren einen Tisch im berühmten Restaurant Dar Essalam. Es ist ein ehemaliger Palast mit reich verzierten Sälen im maurischen Stil. Ein Hitchcock-Film wurde hier gedreht. „Der Mann, der zu viel wusste“, 1956 haben im gleichen Saal Doris Day und James Stewart gespeist. Ob sie auch mit lauter traditioneller Musik, Bauchtanzeinlagen und Damen mit Kerzenständer auf dem Kopf unterhalten wurden, wissen wir nicht. Den meisten Gästen gefiel es. Wir sind hier Touristen unter Touristen.

Auf dem Weg ins…
Dar Essalam
Verdienter Genuss nach den Entbehrungen der Wüste
Der Vorspeisenteller
Zum Dessert Bauchtanz…
… und Bauchtanz.

03. November 2023 – Sherazade, die ruhige Oase

Morgens ziehen wir um in unser Lieblingshotel. Gestern hatte es kein Zimmer frei. Das Hotel Riad Sherazade ist für uns wie eine Oase inmitten der lauten Stadt. Ein Riad ist ein traditionelles marokkanisches Haus, einst das Heim wohlhabender Kaufleute. Es hat zwei kühle, von der direkten Sonne geschützten Innenhöfe mit blau-weißen Fliesen und tropischen Pflanzen und eine traumhafte Dachterrasse mit Blick über die Medina. Die Zimmer sind typisch marokkanisch eingerichtet. Unseres hat einen Zugang zur Dachterrasse. Auf jeder unserer Marokkoreisen waren wir zu Gast in diesem Riad. Vor 20 Jahren das erste Mal. Karim, begrüßt uns an der Rezeption auf Deutsch. Er hat vor 20 Jahren in dem Hotel angefangen zu arbeiten. Wir freuen uns, hier zu sein. Zwischen unseren Stadtbummeln durch Souks und Gärten kommen wir ein paar Mal kurz zurück zum Verschnaufen.

Wir trinken einen Kaffee auf einer der Terrassen am Djemaa el Fnaa. Es ist interessant das hektische Treiben von oben zu beobachten. Männer schieben riesige Karren auf den Platz. Jeden Tag bauen sie ihre Küche und Sitzgelegenheiten für Gäste neu auf. Am Abend wird gekocht, gebraten, gegrillt… Es dampft und qualmt an allen Ständen. Es ist ein riesiger Street-Food-Markt. Männer halten Passanten an und laden sie zu ihren Ständen ein. Es ist ein aufdringliches lautes Werben um hungrige Gäste. Angeboten werden Kefta (Fleischbällchen), Haira (Suppe), Tajine und Couscous, aber auch ganze Lammköpfe. Einmal hatten wir uns bisher getraut, hier zu essen. Angesichts Sarahs Probleme der letzten Tage lassen wir es diesmal lieber sein.

Ein ganz normaler Werktag in Marrakesch
Die Souks bieten Gewürze…
… Messing in jeder erdenklichen Ausführung…
… Nussspezialitäten…
… und (un)genießbare Spezialitäten, Leber, Herz, Lunge…
Auch auf dem nächtlichen Djema el Fna wird allerlei Kurioses angeboten
Der Blick von der Dachterrasse des Riad Sherazade

04. November 2023 – Marrakeschs Gärten

Nach einem leckeren typisch marokkanischen Frühstück auf der Dachterrasse stürzen wir uns ein letztes Mal in die Souks. Ein Besuch in der berühmten Pâtisserie des Princes darf nicht fehlen. Erlesene Pralinen-Gebäck-Spezialitäten im Großeinkauf. Wir versuchen der Hektik der Souks gezielt zu entkommen. Wir finden erholsame Ruhe in einem großen Park neben der Koutoubia mit großen Palmen und Orangenhainen, im Cyber Park. Mitten in der Medina, im Jardin Secret, einem botanischen Garten lernen wir die Systematik der Wasserversorgung Marrakeschs kennen, sehr interessant.

Am späten Nachmittag fahren wir mit einem Taxi zum Airport Menara. Es gibt einen Stau. Gut, dass wir früh dran sind. Am Flugplatz müssen wir durch mehrere Kontrollen. Hier beginnt für Abdou, wenn er es schafft, ein Visum für eine Europareise zu bekommen, eine andere Welt. Schon an den europäischen Preisen für Snacks und Getränke wird dies sichtbar. Unser Flug verspätet sich. Es ist nicht anders zu erwarten bei der Fluggesellschaft. Doch andere Flüge waren für uns nicht passend. Endlich können wir starten. Auf dem Fußweg über das Rollfeld zum Flieger genießen wir ein letztes Mal die warme Nachtluft. Zuhause ist Schmuddelwetter angesagt. Das fängt schon kurz vor der Landung an. Es stürmt und das Flugzeug kommt in heftige Turbulenzen. Wir sehen schon die Landebahn. Das Flugzeug ist in Schräglage. „Ob der Pilot das Ding noch gerade bekommt?“, fragt Sabine. Er schafft es. Und landet sanft auf der regennassen Bahn. Auf dem Weg in die Halle mit unserem Gepäck peitscht uns der kalte Regen ins Gesicht. Willkommen in Deutschland! Willkommen zuhause!

Ein Ruhepol in der hektischen Medina, der Cyber Park
Der Jardin Secret
… mit seinen exotischen Bäumen…
… und stacheligen Palmen.
Ein letzter Tee …
… am Djema el Fna…
… der sich bald wieder füllt…
… mit den mehr als 100 Ständen mit Streetfood.
In der Rush Hour zum Flughafen.
Das total entspannte Trio kurz vor Abflug. Au revoir Maroc, inshallah.

4 Antworten zu „Wüstentour Marokko 2023”.

  1. Vielen lieben Dank für diesen tollen Bericht…

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  2. Hallo ihr Zwei,

    … fast als wäre man mit dabei gewesen – nur ohne die Hitze, den Sand in allen Ritzen und die Strapazen!
    Ihr schildert, alles mit Fotos und Filmchen belegt, so eindrucksvoll und spannend! 👍Nur SELBST erleben ist sicher NOCH sehr viel beeindruckender! 🤩

    Die ungebremste Sonne ist sicher nicht ohne 🥵 – da habt ihr eure Vitamin D-Speicher vor dem Winter nochmal ordentlich gefüllt. 😎.
    Wir hätten gerne von unserem Regen etwas abgegeben ☔️ und gegen ein paar herbstliche Sonnenstrahlen ☀️ eingetauscht!
    😉
    … Wie bei so vielen Dingen ist es auf der Welt ungerecht verteilt.

    Herzlichen DANK für euren Bericht – es ist immer eine wahre Freude zu lesen, was ihr alles erlebt habt! 🤗

    LG Eva

    P. S. Nachträglich noch herzliche Glückwünsche an Sarah! 🍀🎊

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  3. Avatar von Marionn Reichrath
    Marionn Reichrath

    Hallo ihr Lieben, ihr habt uns schon so vieles von dieser Abenteuertour erzählt, aber das jetzt alles nochmal so hautnah nachlesen zu können – Wahnsinn!!! Die Wüste kennen wir nicht, aber das hektische exotische Leben in Marrakesch haben wir auch schon erlebt und können uns umso mehr den krassen Unterschied zu euren Strapazen in der Einsamkeit der gnadenlosen Hitze in der Wüste vorstellen. Um das erleben zu können, gehört ungeheure Leidenschaft und Mut, sich den Herausforderungen zu stellen. Ganz toll, dass ihr mit so grandiosen Erlebnissen belohnt wurdet. Echt total klasse, liebe Grüße an euch drei Abenteurer

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  4. Avatar von Bärbel Schneider
    Bärbel Schneider

    Liebe Sabine lieber Klaus na das war ja wieder eine Überraschung von euch zu hören und zu lesen. Liege gerade auf der Couch mit Corona und es sprang mir euer neues Erlebnis entgegen. Es war so spannend. Wolfgang gab ich das Tablett um die Bilder zu verfolgen was ich vorlas. Eine so schön spannende Geschichte. Ich bewundere euch. Ihr macht euch immer so nah mit den Menschen und der Natur.
    Wir wünschen euch alles gute macht weiter so und bleibt gesund Wolfgang und Bärbel

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