Nachtrag unserer diesjährigen Winter-Trekkingtour durch das norwegische Fjell in Ryfylkeheiene.
Sabines zweites Sabbatjahr naht. Dann gehen wir wieder auf Radtour. Letzte Arbeiten werden erledigt. Dazu gehört auch, endlich die Geschichten und Fotos unserer Skitour in Norwegen im März 2024 zu veröffentlichen. Der Winter ist längst vorbei. Eigentlich sollte Sommer sein. Doch das Wetter hat sich seit März nicht wesentlich geändert. Es ist kühl und regnerisch. Da fällt es nicht schwer am Blog zu schreiben. Eigentlich nur die handgeschriebenen Notizen abschreiben. Auf geht´s. Spannende Geschichten aus dem hohen Norden warten auf euch.
26. März 2024
Endlich wieder Blog schreiben, das heißt wir sind wieder auf Tour. Auf Skitour im norwegischen Fjell. In diesem Jahr sind wir nicht wie 2023 mit Bahn und Fähre angereist, sondern bis Stavanger geflogen. Letztes Jahr hatten wir Zeit. In diesem Jahr haben wir nur die Osterferien. So müssen wir unser schlechtes Gewissen und unseren Flug halt während des Jahres wieder kompensieren. Das Fahrrad wartet. Ab Stavanger geht es mit dem Skibus zwei Stunden bis in die Nähe von Sirdal.
Im Bus sitzen außer uns nur norwegische Jugendliche, die mit ihren Alpinski ins Skigebiet fahren. Sie haben Osterferien. Wir steigen als letzte aus. Sonst will keiner bis hoch ins Fjell. Auf einer Spur auf einer zugeschneiten Straße kommen wir schnell voran. Ein norwegisches Langläuferpaar begleitet uns bis zum Ende der gewalzten Spur. Dann kehren sie um. Sie haben eine Hütte in der Nähe. Wir unterhalten uns nett während dem Laufen. Diese kurzen Begegnungen bereichern jede Tour. Ein kurzer Austausch von Informationen, Erzählungen über Touren und von sich selbst, ganz zwanglos. Und dann ist die Begegnung schon wieder vorbei. An einige Menschen erinnern wir uns Jahre später noch: „Weißt du noch? Da haben wir den… oder die… getroffen.“ Auch in der ersten Hütte Grautheller treffen wir andere Tourengänger. Eine Frau aus Lettland mit zwei Kindern, eine dänische Großfamilie, zwei Norwegerinnen mit Pulka und einen norwegischen Solo-Gänger. Gut, dass wir im letzten Jahr gelernt haben, dass man Betten reservieren kann. Zuvor war das nie möglich und auch nicht erforderlich. Wer zuerst kommt, hat ein Recht auf ein Bett, die letzten müssen eventuell auf Matratzen auf dem Boden schlafen. Heute hat jede Gruppe ihren privaten Raum. Und in der Küche wechseln wir uns ab.
Etwas ist auch anders als letztes Jahr. Das Wetter. 2023 waren wir nur eine Woche früher unterwegs. Bei minus 24°C und Sonnenschein. Heute ist es um die 0°C, es schneit ein wenig und die Wolken hängen tief. Wir haben wenig Sicht und erkennen nicht, wann es steiler nach unten geht. Typisches Fjell-Wetter, das wir schon öfters auf Touren hatten. Der Wetterbericht sagt auch für die nächsten Tage nichts Besseres voraus. Im Gegenteil. In der Hütte reden alle von Sturm am nächsten Tag. Sie wollen in der Hütte bleiben. Wir nicht. Wir können nicht schon am zweiten Tag unseren Reservetag opfern.








27. März 2024
Wir werden früh wach. Die ganze Nacht schon drückt uns die Blase. Zum Toilettenhäuschen mit Plumpsklo müssen wir durch tiefen Schnee stapfen. Da bleiben wir doch nachts lieber im warmen Schlafsack. Doch jetzt pressierts. Es ist windig, aber noch nicht stürmisch. Nach dem Frühstück gehen wir los. Die Route verläuft über einen Pass und einen riesigen See. Und immer gegen den Wind. Es schneit. Wir können die Topografie nicht richtig abschätzen. Klaus gleitet bergab und stürzt. Er hat einen kleinen Abhang nichtgesehen. Alles ist weiß und es gibt keine Konturen. Auf dem See haben wir den Eindruck, dass wir stetig bergauf laufen. Der Wind bremst uns aus und die Ski laufen schlecht auf dem nassen Schnee. Stellenweise kleben sie richtig fest. Es bilden sich Stollen aus Schnee unter den Schuppen. Zur Litle Auradalen Hütte geht es dann auch noch mit stollenden Ski bergauf. Sie liegt oberhalb eines Bergsees mitten in den Bergen. Bei schönem Wetter lädt eine Bank am Eingang dazu ein, die Aussicht zu genießen. Wir machen es uns lieber in der Hütte gemütlich.






28. März 2024
Und dann müssen wir doch mitten in der Nacht raus. Im Sturm zur Toilette. Alle Kleider, Schuhe, Mütze, Handschuhe…anziehen, für die 30m zum Toilettenhäuschen. Der Wind wirft uns fast um und nasser Schnee peitscht uns ins Gesicht. Mitten in der Nacht. Nicht zu ändern. Wir haben für unterwegs nur zwei Liter Wasser für uns zusammen. Unseren Flüssigkeitsbedarf können wir nur abends auffüllen. Mit Tee aus geschmolzenem Schneewasser. Der Tee treibt uns nachts aus dem Schlaf. Die beiden Norwegerinnen auf Litle Aurådalen haben Rotwein, Crémant und Schnaps auf ihrer Pulka mitgebracht. Sie feiern Geburtstag. Und schlafen lange. Wir frühstücken zeitig unsere Hafergrütze und Brote. Es weht immer noch ein starker Wind. Dazu kommt Schneeregen. Es ist warm. Über 0°C. Wir gehen frontal gegen den Wind. In kurzer Zeit sind wir nass. Die Brillen sind voller Wassertropfen. Egal, es ist halt so. Das Wetter fragt nicht danach, ob wir gerade auf Skitour sind. Wir sind in der Nähe des norwegischen Fjordlandes. Zum Lysefjord mit dem berühmten Preikestolen waren es gestern ca. 10 km Luftlinie. Und im Fjordland gibt es ungefähr in der Hälfte des Jahres Niederschläge. Schönes Wetter ist Glücksache. Am letzten Wochenende gab es hier tolles Wetter und sogar Nordlichter in der Nacht. In Südnorwegen eher selten. Das schöne Wetter ist vorbei. Wir müssen uns damit arrangieren. Also weiter nach Storsteinen. Nach einigen Kilometern lässt der Schneeregen nach. Gegen heftigen Wind kämpfen wir uns hoch bis zur Hütte. Wir sind sogar wieder trocken. Die Hütte liegt in der Nähe eines Reservates für die südlichste Rentierpopulation Europas. Nur ein Wanderweg quert das Gebiet. Sonst ist es für Menschen tabu. Rentiere sind die Fjellnomaden. Sie brauchen ein großes Terrain zum Umherziehen. Und spezielle Zonen zum Kalben. Mit dem Schutzgebiet hat Norwegen ihnen einen Lebensraum geschaffen. Die Norwegerinnen erzählen uns, dass es momentan Diskussionen darüber gibt, das Gebiet zu vergrößern. Unsere heutige und morgige Hütte müsste dann umgelegt werden. Eine teure Sache für den DNT. Und ähnlich schöne Plätze müssten auch noch gefunden werden. In Storsteinen können wir die Nähe der Fjorde erahnen. Schroffe steile Felswände fallen nach Westen hin ab. Die Hütte ist relativ neu. Außer Felix aus Berlin sind wir die einzigen Besucher heute. Wir machen das Feuer im Guss-Ofen an und genießen den Nachmittag und Abend. Draußen stürmt es immer noch.




29. März 2024
Mit etwas Rückenwind gehen wir los. Es schneit. Unterwegs kommen uns drei Gruppen mit Pulkas entgegen. Sie warnen uns vor einer Spalte beim Zutritt auf den Blåsjø-Stausee. Wir sollen ganz gerade zwischen zwei roten Stäben durchfahren. Warnschilder weiden auf Spalten und unsicheres Eis hin. Auf der Karte rot markierte Flächen sollten wir meiden. Unter dem zugefrorenen See verlaufen einige Rohre, die zu einem Wasserkraftwerk führen. Die Spalte ist nicht so dramatisch wie angekündigt. Auf dem riesigen See haben wir moderaten Seitenwind. Es hat aufgehört zu schneien. Und klart sogar etwas auf. Bis Hovatn geht es ständig auf und ab. Wir sind wieder die ersten auf der Hütte. In einem gemütlichen Schlafraum legen wir unsere Sachen ab. Wir machen Feuer und backen Pfannkuchen. Unterwegs haben wir mal wieder keine Pause gemacht. Die fünf Stunden Gehzeit sind wir durchgelaufen. Es ist zu ungemütlich zum Anhalten. Nach uns kommt Felix in der Hütte an. Später noch ein norwegisches Paar. Und dann zeigt sich sogar noch kurz die Sonne. Endlich. Wir machen schnell ein paar Fotos. Felix steigt noch auf einen Berg. Dort soll es Mobilfunkempfang geben. Den letzten hatten wir an der Bushaltestelle bei unserem Start vor drei Tagen. Auf dem Berg weht ein kalter starker Wind. Im Windsack schreibt Felix eine Nachricht an seine Familie und versucht zu telefonieren. Er bringt uns den neuesten Wetterbericht mit. Morgen soll es zuerst neblig sein, nachmittags soll die Sonne scheinen. Auch die Vorhersage für übermorgen ist erfreulich: abflauender Wind und Sonnenschein. Gute Aussichten.








30. März 2024
Leider stimmt die Wettervorhersage. Es ist neblig. Nur ab und zu können wir die Umgebung wahrnehmen. Wir erkennen keine Konturen im Schnee. Und auch nicht die Topografie. Direkt hinter der Hütte stürzt Klaus einen kleinen Hang hinunter. Schon das dritte Mal auf der Tour. Wir erkennen solche Abbrüche einfach nicht. Sabine hat es einfacher. Sie wartet bis Klaus vorgelaufen ist und fährt dann nach. Das Wetter ändert sich im Laufe des Tages. Es klart auf. Plötzlich scheint sogar die Sonne. Endlich. Wir sind begeistert. Schnell machen wir jede Menge Fotos. Im Sonnenschein ist die Landschaft atemberaubend schön. Sie ist nur schwer zu beschreiben. Alles ist weiß. Durch den Neuschnee sehen die Berge aus, als wären sie in Watte gepackt. Alles ist weichgezeichnet. Die norwegischen Fjell-Landschaften gehören zu den schönsten Gegenden, die wir kennen. Deshalb zieht es uns immer wieder hierher. Bei schönem Wetter können wir uns einfach nicht satt sehen.
Es geht rauf und runter. Nun sehen wir auch die Konturen im Schnee und können bergab auch mal laufen lassen. Doch nicht sehr lange. Die Wolken kommen zurück. An der Hütte werden wir noch von einem Schauer aus nassem Schnee, fast Regen empfangen. Schnell in die Hütte. Wir machen es uns gemütlich. Bis zwei Norwegerinnen in der Hütte ein Durcheinander aus Kleidungsstücken, Rucksäcken, Essen… veranstalten. Mehr Tourengänger werden es an dem Abend aber nicht.


















31. März 2024
Es ist Ostersonntag. Es gibt leider keinen Osterbrunch, sondern wie jeden Morgen Hafergrütze mit getrockneten Heidelbeeren, Himbeeren und Nüssen. Danach Knäckebrot. Das muss bis nachmittags reichen. Nach dem Frühstück steht noch der Osterputz auf dem Programm. Die Hütte zu reinigen ist Pflicht vor jeder Abreise. Auch Wasser und Holz für die nächsten Besucher bereitstellen ist Ehrensache.
Es hat heftig geschneit in der Nacht. Wir laufen durch tiefen Neuschnee. Doch heute soll es noch Sonnenschein geben. Zuerst ist es neblig. Dann reißt die Wolkendecke auf. Wir laufen durch eine traumhafte Landschaft in Weiß. Der Neuschnee hüllt die Berge in weiche Watte. Durch die Sonne entstehen Schatten, die das zuvor neblige Einheitsweiß auflösen und die Landschaft modellieren. Wir sind gerührt von solch einer Schönheit.
Sabine fällt der Spruch wieder ein, den sie morgens im Toilettenhäuschen gelesen hat: „The best things in life are not things.“ Wie treffend. Alles Materielle ist unwichtig gegenüber der Erfahrung, ein Teil dieser grandiosen Natur zu sein. Oder so privilegiert zu sein, daran teilhaben zu dürfen. Die junge Frau gestern in Krossvatn hat zu uns gesagt: „Ihr müsst den norwegischen Winter und die Natur schon sehr lieben, wenn ihr schon zum 17. Mal hier seid.“. Recht hat sie. Wir hoffen, dass wir noch oft wiederkommen können.
Durch hohen Schnee kämpfen wir uns auf einen Pass hoch. Auf der anderen Seite geht es in ein tiefes, enges Tal hinunter. So steil wie eine schwarze Alpinpiste in den Alpen. Zu steil und zu tiefer Schnee zum Abfahren mit Langlaufski. Wir nehmen die Ski auf die Schulter und stapfen zu Fuß hinunter. Im tiefen Schnee sacken wir ein, haben aber guten Halt. Unten schnallen wir die Ski wieder an. In der Sonne machen wir die erste Pause seit fünf Tagen. Ein Schneehuhn leistet uns Gesellschaft. Dann fliegt es laut gackernd davon.
Bis zur tiefgelegenen Jonstølen Hütte müssen wir noch einmal steil hinab. Es ist so warm, dass der Schnee ganz sulzig wird. Wir bahnen uns den Weg um kleine Birken herum. Zwei Norweger heißen uns willkommen. Später trifft auch noch Felix ein. Es ist eine nagelneue, moderne Hütte von einem namhaften norwegischen Architekten entworfen. Aus dem Gastraum sehen wir aus Panoramafenstern die gesamte umgebende Bergwelt. Unterstützt durch die Olaf-Thon-Stiftung des bekannten Hoteliers kann der DNT eine solche Hütte finanzieren. Für uns purer Luxus. Jedoch ohne Wasser, das holt Klaus mit Kanistern 50hm weiter unten aus dem Bach, und zur Toilette müssen wir durchs Freie laufen. Luxus kann auch einfach sein. Wir genießen den schönen Abend.






















1. April 2024
Heute wird es anstrengend. Zuerst müssen wir 100hm bergab. Abfahren geht nicht. Klaus versucht es und stürzt. Es ist steil. Unter uns rauscht ein Fluss. Der Schnee ist holprig und hart gefroren. Dann halt zu Fuß. Im Tal geht es auf Skiern weiter. Die zwei Männer in Jonstølen haben uns vor dem offenen Wasser des Flusses gewarnt. Über Schneebrücken, die schon teilweise wegen des warmen Wetters eingestürzt sind,müssen wir öfters den Fluss queren. Vor zwei Tagen haben sie die beiden Männer noch ausgehalten. Hoffentlich halten sie uns auch noch aus. Vor zwei Jahren wäre hier jemand verunglückt, erzählen die beiden. Es stand so in der Zeitung. Die ersten Schneebrücken halten. In einer engen Schlucht geht eseinen steilen Pfad hinauf. Mit Ski unmöglich. Glücklicherweise haben wir wieder guten Halt zu Fuß im Schnee. Wir queren die Hänge oberhalb des reißenden Flusses. Dann sind wir wieder im Flussbett. Mitten auf dem nur noch halb zugefrorenen Fluss verläuft unsere gekvisterte Spur. Wir folgen den Markierungsstäben. Wieder geht es über Schneebrücken. Dann über einen See mit überfluteten Wasserstellen und vielen Rissen.
Endlich geschafft. Wir haben wieder festen Boden unter den Füßen. Zu fest. Der steile Hang, den wir hoch müssen, ist vereist. 500hm auf vereistem Firnschnee steigen wir mit unseren Fellen unter den Ski nach oben. Die Sonne scheint. In Jonstølen war es noch warm. Wir haben extra weniger angezogen als gestern. Je weiter wir nach oben kommen, desto kälter wird es. Ein heftiger eisiger Wind kühlt uns trotz der Anstrengung bergauf mächtig aus. Öfters weht er uns fast um. Zwei Schneemobile mit Rangern kommen uns entgegen. Sie halten an. Wir sollen auf dem nächsten See vorsichtig sein. Eine wilde Rentierherde zieht umher. Leider sehen wir sie nicht. Obwohl wir ständig alle hänge absuchen. Schade. Es geht wieder bergauf. Am höchsten Punkt schnallen wir die Felle ab. Zum Abfahren sind sie schlecht geeignet.
Ein paar Kilometer vor der Hütte Blaskestatmoen müssen wir einige Steilhänge wieder zu Fuß meistern. Der Schnee ist heute nicht ideal. Vor einigen Jahren konnten wir hier problemlos abfahren. Doch Stürze und Verletzungen wollen wir vermeiden. Hier ist sonst niemand. Rettung könnten wir allenfalls mit unserem GPS-Gerät rufen. Dann würde ein Signal irgendeine Rettungsstelle informieren und unsere Position durchgeben. Die Rettung käme dann irgendwann mit dem Snowscooter oder Helikopter. Das brauchen wir nicht. Wir kommen heil an der Hütte im Tal an.
Eine Norwegerin mit Pulka leistet uns Gesellschaft. Sie ist ein paar Wochen ganz alleine unterwegs. Im Sommer arbeitet sie als Guide im Dovrefjell und führt Touristen zu den dort lebenden Moschus-Ochsen. Sie sind die einzigen ihrer Art in Europa. Sonst gibt es sie nur in Nordamerika. Wieder eine nette Begegnung mit einer interessanten mutigen jungen Frau. Unsere Abende sind nicht langweilig. Wir genießen die Zeit bis zum Schlafen vor dem warmen Holzfeuer mit Gesprächen, Lesen, Schreiben, Spielen und Sabine auch mit Stricken. Digitale Medien fehlen uns nicht. Nur eine Nachricht, dass es uns gut geht, würden wir gerne mal nach Hause schicken. Ohne Mobilfunknetz ist das leider nicht möglich.










2. April 2024
Endlich sind wir oben. Circa 600hm über steile vereiste Hänge gegen den Wind müssen wir aufsteigen. Es geht nur mit Steigfellen. Der Wind ist eisig. Die Sonne hat keine Chance. Heute schwitzen wir nicht. Trotz Anstrengung am Berg. Oben angelangt geht es über zwei riesige Stauseen. Eine tiefblaue Spalte müssen wir überqueren. Wieder warnen Schilder vor solchen Spalten. Nie die markierte Route verlassen! Wir sind froh über die Kvister, die ca. 1,50m hohen Stöcken, die als Wegmarkierung alle 30-50m im Schnee stecken. In den meisten Regionen werden sie kurz vor Ostern angebracht. Insgesamt auf 4300km in ganz Norwegen. Das ist viel Arbeit für den DNT, den norwegischen Wanderverein Den Norske Turistforening. Und eine große Verantwortung. Die Routenwahl vermeidet Gefahren wie Lawinenhänge oder unsicheres Wasser auf Seen. Überall wird die topografisch optimale Strecke für Tourengänger gesucht. Wir schätzen diese Arbeit sehr. Ohne Kvister, nur mit GPS, Kompass und Karte ist es wesentlich schwieriger zu gehen. Besonders bei schlechter Sicht.
Heute aber ist die Sicht phänomenal. Der Himmel ist strahlend blau. Die Berge stahlen in reinstem Weiß. Der letzte Anstieg zur Homavatn Hütte hat es in sich. Auf dem Stausee haben wir zum besseren Gleiten die Felle abgeschnallt. Für die 70hm bis zur Hütte ziehen wir sie nicht extra wieder auf. Dann also im Grätenschritt nach oben. Sabine rutscht aus und fällt mit dem Gesicht in den harten Schnee. Ihre Nase blutet. Sonst ist alles noch heil. In der Hütte treffen wir zwei norwegische Paare. Sie haben den neuesten Wetterbericht für die nächsten beiden Tage. Er weicht etwas von der Vorhersage ab, die Klaus gestern auf einer Anhöhe zufällig einsehen konnte. Morgen soll es schön sein, übermorgen eher schlecht. Schnee und stürmischer Wind. Wir hatten geplant, morgen zu einer weiteren Hütte zu gehen und übermorgen 16km über einige Berge zum Bus in Hovden. Von dort wollen wir nach Kristiansand. Die Strecke über die Berge gegen den gemeldeten Sturm ist zu riskant.
Wie schon so oft in Norwegen planen wir um. Wir entscheiden uns für eine andere Option: morgen laufen wir zur Fjellstue nach Haukeliseter. Wir übernachten dort und versuchen über einen Umweg mit Bussen nach Hovden zu kommen. Dann ist dies unsere letzte Hütte. Sie ist aufgrund ihrer Lage das Highlight der Tour. Der Blick reicht über den See und die weite norwegische Bergwelt. Grandios. Nach dem Abendessen gehen wir nochmals vor die Hütte. An dem klaren Tag wollen wir noch einen Blick auf den Sternenhimmel werfen. Es lohnt sich. So viele Sterne und Planeten sind im lichtverseuchten Deutschland nur an wenigen Stellen zu sehen. Wenn überhaupt. Die Milchstraße und die verschiedenen Sternzeichen sind ganz klar zu erkennen. Wir stehen da, schauen in den Himmel und staunen. Wir sind nur ein winziger Teil des Universums. Und nehmen uns oft zu wichtig. Der Sternenhimmel wirkt noch lange nach. Wir behalten ihn auch beim Schlafengehen noch im inneren Auge.


























3. April 2004
Morgens ist es etwas neblig. Keine Sonne mehr. Alles ist wieder monochrom weiß. Die Unterschiede zwischen Bergen und Himmel sind nicht mehr zu erkennen. Sie gehen ohne Konturen ineinander über. Ob unser Untergrund gerade bergab oder bergauf geht, ist nicht zu sehen. Schade. Der Schnee wäre so toll zum Abfahren. Es hat in der Nacht ungefähr 10cm geschneit. Doch wir sehen nicht genug. Klaus stürzt schon wieder an einem kleinen Abbruch. Also geht es nur langsam hinab. An einem Berg brauchen wir nochmal die Steigfelle. Dann geht es nur noch runter.
Wir treffen verschiedene Skitourer, die uns entgegenkommen. Alle berichten uns von der Sturmwarnung für den nächsten Tag. Alle wollen sie morgen in der nächsten Hütte bleiben und den Schneesturm aussetzen. Wir haben also richtig entschieden, nach Haukeliseter zu gehen. Rentierspuren kreuzen unseren Weg. Vor nicht allzu langer Zeit müssen sie hier vorbeigezogen sein. Wir sehen sie nicht. Obwohl wir wieder alle Hänge nach ihnen absuchen.
Rentiere sind wahre Anpassungskünstler an die lebensfeindliche Umgebung im Fjell. In ihrem Fell gibt es Luftkammern, die einzelnen Haare sind innen hohl und sie haben eine dichte Unterwolle. Sie sind perfekt gegen Kälte isoliert. Ihre Nüstern sind mehrfach verzweigt, so dass die kalte Luft erwärmt durch die Atemwege in die Lunge gelangt. Die Hufe der Rentiere sind breit und durch eine Spannhaut spreizbar. So versinken sie nicht im Schnee. Mit ihren Geweihen graben sie nach Moosen und Flechten unter dem Schnee. So ergänzen sie ihren Energielevel aus ihrer im Herbst angefressenen Fettschicht. Gut gewappnet für den Winter. Die größten Probleme bereiten den Rentieren Myriaden von Stechmücken im Sommer und durch den Klimawandel bedingte häufigere Regenfälle im Winter. Das Fell wird nass und isoliert nicht mehr. Und das Wasser gefriert auf der Schneedecke und sie kommen nicht mehr an ihr Futter. Doch überwiegen noch gute Bedingungen für die Fjellnomaden.
Sabine läuft heute langsam. Bewusst langsam. Sie saugt die Landschaft in sich auf. Sie soll noch lange in Erinnerung bleiben. Klaus versteht nicht so recht. Er muss dauernd warten. Am Ende zieht sich die Strecke bis Haukeliseter in die Länge. Die große Fjellstue sehen wir schon aus 10km Entfernung. Wir kommen nur langsam näher.
In der Fjellstue gibt es preiswerte Lager und teure Hotelzimmer. Wir gönnen uns ein Zweibettzimmer mit eigenem Bad. Nach 10 Tagen ist die erste Dusche purer Luxus. Wir ziehen frische Kleider an und essen im Restaurant. Auch das ist Luxus. Aber es ging auch 10 Tage ohne Dusche. Und die Vorräte aus den Provianträumen in den Selbstversorgerhütten (Ubetjent) haben wir jeden Tag anders variiert. Jetzt hat uns mitten in den Bergen auf 980m Höhe die Zivilisation wieder. Denn Haukeliseter liegt an einer Straße, die quer durch das Fjell führt. Sie verläuft nach Westen in Richtung Stavanger und nach Süd-Osten in Richtung Oslo. Wir haben gelesen, dass sie zu den gefährlichsten Straßen der Welt zählt. Im Winter sicherlich.








4. April 2024
Um 15 Uhr soll unser Bus nach Haukeli fahren. Dort können wir in einen Bus nach Kristiansand umsteigen. Kurz vor 15 Uhr packen wir Ski und Rucksäcke und wollen zum Bus. Doch der Mann an der Rezeption informiert uns, dass der Bus nicht fährt. Wir fragen warum?????Die Straße sei bis auf weiteres gesperrt. Wegen starkem Schneefall und sturm. Wir sitzen fest. Bei dem Wetter kommen wir also hier nicht weg. Keine Chance, vielleicht morgen, meint der Rezeptionist. Das ist halt so in den Bergen. Dann müssen wir halt nochmal hier übernachten. Immerhin noch besser, als unser ursprünglicher Plan, heute über die Berge nach Hovden zu laufen. Das hätten wir in dem Sturm nicht geschafft. Wir informieren Sarah und Sabines Papa. Und gehen einen Kaffee trinken.
Sabine schlendert zum kleinen Hotelshop und sieht sich die Auslagen an. Sie sieht, dass direkt vor der Tür ein Bus hält. Sie informiert Klaus. Der rennt raus und redet mit dem Busfahrer. Dann muss alles schnell gehen. Wenn wir in fünf Minuten am Bus sind nimmt er uns mit bis Haukesund. Von dort gibt es einen Bus nach Stavanger. Für die Richtung Kristiansand, wo wir ein Hotel gebucht haben, ist es zu spät. Nach Stavanger könnte heute noch klappen. Die Straße ist wohl gesperrt, aber es gibt eine Blockabfertigung und Busse dürfen fahren, sagt der Busfahrer. Na gut, wir rennen los, informieren die Rezeption, dass wir doch kein Zimmer brauchen und steigen in den Bus ein. Wer weiß, wie die Situation morgen ist. Und übermorgen fliegen wir von Stavanger nach Hause.
Wir fahren los. Im Bus über eine der gefährlichsten Straßen, im Schneesturm, über eine geschlossene Schneedecke. Etwas mulmig ist uns schon. Wir kommen nur zwei Kilometer weit bis in den Tunnel. Die Fahrbahn im gesamten 5 km langen Tunnel ist schneebedeckt. So stark bläst der Wind den Schnee hinein. Im Tunnel ist erstmal Stopp. Ein Konvoi von PKWs und sogar LKWs wartet darauf, hinausfahren zu dürfen. Der Bus darf vor. Nachdem eine Autoschlange aus der Gegenrichtung an uns vorbeigefahren ist, dürfen wir mit dem Bus einem Schneepflug folgen. Der Schnee wirbelt über die Straße. Es geht sehr steil bergab. Hoffentlich ist der Busfahrer ein guter Fahrer.
Weiter unten am Fjord ist weniger Schnee. Der Schneepflug kehrt um. Leider bleiben wir nicht auf Fjordhöhe. Es geht ständig wieder über Pässe und zum Meer hinab. In Haukesund müssen wir umsteigen. Unser Bus hat mächtig Verspätung. Schaffen wir das? Und dann kommt erst der richtige Schnee. Am Meer ist alles tief verschneit. Wo vor Tagen schon die Bäume geblüht hatten, ist der Winter zurückgekehrt. Im April. Es hat schon etliche Unfälle gegeben. Überall sind Räumfahrzeuge im Einsatz. In Haukesund erreichen wir noch den letzten Bus nach Stavanger. Aber nur, weil er auch verspätet ist. Nun geht es im Schneetreiben über riesige Brücken von Insel zu Insel. Wir fahren durch Tunnels unter dem Meer und am Ende mit einer Fähre. Nach sechs Stunden kommen wir endlich wohlbehalten in Stavanger an. Wir sind uns einig: die Busfahrt war gefährlicher als unsere gesamte Skitour. Doch wir hatten bei beidem einen guten Schutzengel.
5. April 2024
Statt wie geplant durch Kristiansand schlendern wir durch Stavanger. Es ist nasskalt. Der Schnee von gestern ist verschwunden. So wahnsinnig viel hat die Stadt im Winter nicht zu bieten. Es gibt einige alte Stadtviertel mit schönen Holzhäusern und kleinen Läden. Das Erdölmuseum ist interessant, doch wir kennen es von einer anderen Tour. Im Sommer gibt es viele Ausflugsfahrten mit dem Boot. Zum Lysefjord mit seinen berühmten Felsen Preikestolen und Kjerag. Doch um diese Jahreszeit liegen die Schiffe unbenutzt im Hafen. So schauen wir uns halt die Stadt an und stärken uns am Nachmittag mit Cappuccino und Kanelbolle. Es fängt an zu regen. Typisches Stavanger Wetter. Wir gehen zurück ins Hotel. Und freuen uns auf Zuhause 23°C sollen es morgen und in den nächsten Tagen werden. Da wären die Norweger sicher neidisch.
PS: Ich schreibe diesen Blogbeitrag erst am 3.7.24. Im Rückblick stelle ich fest, dass die sonnigen Tage im April sich bis Juli nicht sehr oft wiederholt haben. Regen bestimmt unser Wetter seit April. Und öfters haben wir von Deutschland aus neidisch auf Skandinavien geschaut, wo wochenlang außergewöhnlich schönes warmes Wetter vorherrschte.





3 Antworten zu „Norwegen 2024”.
… In Stavanger war ich mal Mitte der 90er-Jahre, als ich im Studium auf großer Exkursion in Norwegen war – an die weißen Holzhäuser kann ich mich noch gut erinnern! 🤗
Das Fjell kenne ich nur in der Sommer-Variante, wobei die Winter-Variante, die ihr mit tollen Fotos beschreibt, ein echtes Highlight zu sein scheint! 🤩
Euren spannenden Blog von der Spätwinter-Tour bei den aktuell heißen Temperaturen zu lesen, wirkt direkt abkühlend! 😉
Auf eure Marokko-Impressionen bin ich auch schon sehr gespannt!
Gute Reise wünsche ich euch mit vielen schönen Eindrücken! Kommt heil hin und wieder zurück!✊🍀🍀🍀🙏
Liebe Grüße
Eva
LikeLike
Ja das sind Abenteuer im Schnee. Die teilweise minimalistischen Schwarz-Weiß-Fotos wirken wie perfekte Gemälde nach dem Motto „Weniger ist mehr“ oder nach der Regel „Die Kunst besteht im Weglassen“. Ohje, ich merke, ich stehe immer noch sehr unter dem Einfluss der gerade erst beendeten grandiosen Retrospektive mit den Kunstwerken unserer Mama lieber Bossi.
Und jetzt freue ich mich schon auf eure Erlebnisse auf der Tour von St. Ingbert nach Marokko – mit dem Fahrrad!
Liebe Grüße
Marion
LikeLike
Hallo Marion,
Danke für Deinen lieben Kommentar. Die Natur ist hier „Weniger ist mehr“ gefolgt. Wir haben tatsächlich ausschließlich Farbfotos eingestellt. Ja, jetzt freuen wir uns auf Marokkotour. Danke.
LikeLike