01. November 2024
Warm eingepackt fahren wir von Imlil bergab. Zuvor haben wir uns von der Familie Id Boussalem verabschiedet. Unser Hauptgepäck lassen wir da. Nur eine Radtasche mit dem Wichtigsten für einen Tag nehmen wir mit. Abdou bringt es uns morgen auf den Tizi n’Test, unseren höchsten Pass. So können wir die 2200 Höhenmeter der schwierigen Überschreitung des Hohen Atlas ohne zu schwere Räder besser angehen. Zwei Tage haben wir dafür eingeplant. Das ist auch gut so. Der erste Tag fordert uns schon physisch und psychisch. Obwohl die Hauptsteigung erst morgen kommt.
In Asni wird uns das Ausmaß des Erdbebens vor einem Jahr so richtig bewusst. Hier ist eine ganze Schule zusammengebrochen und Ortsteile sind nur noch Trümmer. Und so geht es weiter. In dem ganzen Tal gibt es kein bewohnbares intaktes Dorf mehr. Berge von Schutt von abgebrochenen Häusern liegen am Straßenrand. Ganze Existenzen in Trümmern. Und die Menschen leben in Containern so groß wie eine Garage oder, noch schlimmer, in Zelten. Seit über einem Jahr. Es gibt ganze Container- oder Zeltdörfer mit Schulen und Zeltmoscheen. Und maximal drei Sanitärhäuschen für über hundert Menschen. Wir sind erschüttert. Es geht uns unter die Haut. Wir haben einer Familie geholfen. Tausende bräuchten Hilfe. Überall werden kleine Häuser gebaut. Nicht mehr in den Hängen der alten zerstörten Berbersiedlungen, sondern im Tal. Fertig sind die noch lange nicht. Trotzdem sind die Menschen, die uns auf der Straße begegnen so freundlich. Sie grüßen, applaudieren und wünschen uns eine gute Reise. Ein Mann mit seinem Enkel und drei kleinen Lämmern fragt, ob wir zum Tizi n’Test wollen: Bravo, Bravo… er klatscht uns Beifall. Es ist beschämend, wie herzlich die Menschen sind angesichts so viel Armut und Leid.
Die Situation fordert uns nicht nur mental, sondern ab dem Stausee in Ouirgane auch körperlich. Durch das Erdbeben sind Teile der Straße zerstört worden. Sie war eine zeitlang unpassierbar. Jetzt ist sie eine Großbaustelle und wird breiter ausgebaut. Fast 30 km Baustelle ohne Belag haben wir bis zu unserem Übernachtungsort Ijoukak. Mit Baggern, die Hänge abtragen und LKWs, die den Schutt wegfahren. Dauernd müssen wir warten bis der LKW voll ist und der Bagger so lange Pause macht, dass wir weiterfahren können. Und hoffen, dass dann nicht gerade riesige Steine auf die Straße rollen. Dazu kommt extremer Staub auf der ganzen Strecke. In Ijoukak ist unsere Gîte eines der einzigen Gebäude, die hier noch stehen. Ein Wunder? Genauer hinschauen dürfen wir nicht. Auch unser Gebäude hat Risse. Es wird schon nicht heute Nacht zusammenstürzen. In’shallah.
Auf den Tizi n’Test
02. November 2024
Viele, viele Höhenmeter warten auf uns. Wir hoffen, dass es keine Baustellen gibt. Es geht stetig bergauf. Wieder an zerstörten Dörfern vorbei. Hicham, Abdous Sohn holt uns ein. Mit unserem Gepäck im Auto. Er fährt voraus bis zum Pass und gibt die Taschen im Hotel ab. Nach den spektakulären Serpentinen treffen wir ihn beim Zurückfahren wieder. Die Straße wird immer schmaler. Die kleinen Mauern oder Leitplanken, die als Absturzsicherung dienten, sind im Erdbeben zerstört worden. Wir fahren direkt am tiefen Abgrund. Die Straße ist nie zu steil. Wir können anhalten und fotografieren. Wir stehen in einer Kurve und sehen einen LKW langsam den Berg herunterfahren. Sabine will noch kurz warten bis er vorbei ist. Glücklicherweise. Plötzlich, fünfzig Meter von uns entfernt, knallt es und scheppert’s. Dem LKW ist gerade ein Rad abgefallen. Es rollt über die Straße. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn wir gerade dort gefahren wären. Schwierige Stellen gibt es dort, wo die Straße durch das Beben weggebrochen ist. Sie wurde notdürftig wieder hergestellt.
Die Ausblicke auf Tal und Bergwelt sind fantastisch. In der Ferne sehen wir wieder den Jebel Toubkal. Und unter uns die atemberaubende Passstraße. Nach relativ flachen Abschnitten geht es noch einmal bergauf. Bis zum höchsten Punkt. Wir schauen auf die andere Seite des Hohen Atlas. Eine riesige Ebene erstreckt sich bis zum Atlantik, den wir im Nebel erahnen. Dahinter ist eine neue Gebirgskette, der Anti Atlas, der in die Sahara übergeht. Wenn uns bei unserer ersten Marokkoreise vor über 20 Jahren jemand gesagt hätte, dass wir hier einmal mit dem Rad fahren, wir hätten ihn für verrückt erklärt. Und nun sind wir wirklich da. Es ist der Höhepunkt unserer Tour. Topographisch und emotional. Ab hier geht es bis Agadir fast nur noch bergab. Der freundliche Wirt unseres Hotels, das eher eine Berghütte ist, schlägt uns noch einen Spaziergang vor. Ein Panoramaweg. Wir wandern bis zum wunderschönen Sonnenuntergang. Zum leckeren Abendessen dürfen wir am Kaminfeuer sitzen. Drei Italiener kommen dazu. Ein schöner Abend mit netten Menschen.
Vom Gebirge in die Oase
03. November 2024
Noch einmal einen Blick zurück in die Berge des Hohen Atlas, dann fahren wir los. 2000 Höhenmeter bergab. Mit Aussicht auf unser heutiges Ziel, eine Oase am Rand des Anti Atlas. Die Berge sehen wir, die Palmerien können wir in der Ferne erahnen. Schon nach der ersten Kurve kommt die Baustelle. Nichts mit Abfahren. Stop and go. Dauernd müssen wir anhalten bis die Bagger uns vorbeifahren lassen. Die Fahrbahn besteht aus Schotter, Rillen und Löchern. Wir sind gestern fast schneller bergauf, als heute bergab gefahren. Nach zehn Kilometern dann die Erlösung. Glatte Straße und Ende der Baustelle. Wir lassen rollen. Bis zur Ebene.
Es schnurgerade weiter. Um einen Umweg von 35 km zu vermeiden, hat Klaus eine Nebenstraße eingeplant. Doch die hat es in sich. 9 km über große runde Kieselsteine, durch Sand und ein 1 km breites trockenes Flussbett. Wir kommen kaum voran. Es holpert und schmerzt. In einem Dorf finden wir eine kleine Bäckerei. Der junge Bäcker strahlt uns an. Er freut sich, dass wir bei ihm einkaufen. Ob wir auf Instagram sind, will er wissen. Wir zeigen ihm unsere Website. Das leckere Gebäck essen wir im nächsten Café. Umgerechnet 40 Cent haben wir für 4 Teilchen bezahlt. Bis Tiout, unserer Oase, nehmen wir doch einen Umweg in Kauf. Sonst wäre das Geholper weiter gegangen. Wir haben gerade noch Sonnenschein um die Kasbah und die Palmerien zu erkunden. Ein ganzes Tal voller Dattelpalmen. Manche bis zu 20 m hoch. Und dahinter wieder der Hohe Atlas. In der Abendsonne sieht es aus wie in einem orientalischen Märchen.





















