20. August 2022
Es gewittert und gießt in Strömen. Wir genießen unsere trockene Hütte und schlafen weiter. Als wir dann aufbrechen ist es trocken. Wir verlassen die Küste und wählen wieder eine Strecke durch die Berge. Eine asphaltierte Straße mit wenig Verkehr, statt den Gravelroads links und rechts der E4. Es geht stetig bergauf. Es gibt Berge, Wald und Seen. Klaus hofft, dass wir heute mal einen Elch sehen, über 40 km gibt es keinen einzigen Ort. Da müssten doch Elche sein.
Wir schauen ständig beim Fahren links und rechts in den Wald hinein. Nichts. Nur ein Auerhahn mit seinen zwei Hennen hat sich an den Straßenrand verirrt und flüchtet vor uns in den Wald. Nach 40 km bergauf fängt es an zu regnen. Immer stärker. Unsere Brillen beschlagen. Wir würden jetzt eh keinen Elch mehr sehen. Und welcher Elch kommt freiwillig bei diesen Wolkenbrüchen aus dem Wald hervor? Also wieder nichts. Dafür aber 50 km Starkregen. Elche mögen keinen Regen, wir aber auch nicht. Wieder ist eine Hütte auf dem Campingplatz in Kramfors unsere Rettung. Wir hoffen auf schönes Wetter und dass wir endlich einen Elch sehen.
21. August 2022: Was machen die Schweden am Sonntag?
Wir fahren Rad, was sonst. Zuerst zu der Högakustenbron, der Golden Gate Bridge Schwedens, 70 m fehlen ihr zum Original in San Francisco. Wir schauen sie uns von unten an, wir müssen nicht drüber, wir sind schon auf der anderen Seite des Fjordes. Weiter geht es an der Küste entlang. In kleinen Ortschaften halten wir nach einem Café Ausschau. Fehlanzeige! Schließlich gibt es Kaffee an der Tanke, Filterkaffee von der Warmhalteplatte in Starbucks- Bechern, alles Attrappe. Sabine verzichtet auf den Kanelbulle, die schmecken weder nach Hefe noch nach Zimt. Sie werden industriell hergestellt und triefen vor Zucker.
Wir fahren weiter und fragen uns: was machen die Schweden in dieser Gegend am Sonntag? Das leckere Frühstück mit frischen Brötchen vom Becker entfällt, denn es gibt keine Bäckereien. Nur in Plastik verpacktes Brot im Supermarkt, reine Kohlenhydrate, ohne Genuss. Mittagessen gibt es in Imbissbuden und sogenannten Restaurants. Diese ähneln aber mehr Raucherzonen vor deutschen Industriebetrieben als Gaststätten mit leckerem Essen. Es gibt auch nur Lunch, abends sind sie geschlossen. Einige wenige Schweden sehen wir Sport treiben, drei Radfahrer kommen uns auf unseren 90 km entgegen, bei schönstem Wetter, und zwei Jogger. Also was tun die Schweden? Sonntagsfavorit ist scheinbar Rasen mähen. Den Nachbarn störtˋs nicht, der ist weit weg. Und an Oldtimern schrauben und putzen. Es gibt hier sicher mehr alte Amischlitten als in den USA. Bei dem schwedischen Sommerwetter sehen wir selten jemanden auf der Terrasse oder im riesigen Garten. Auch Angler gibt es keine mehr. Wir grübeln weiter. Wir haben auch viel Zeit dazu bei 1200 hm im Schneckentempo. Dann denken wir, dass wir es wissen. Sie fahren Auto. Warum sind sonst so viele Autos am Sonntag unterwegs? Sie fahren spazieren. Dies ist nur unser Eindruck und soll jetzt nicht verallgemeinernd auf alle Schweden bezogen werden. In dieser abgelegenen Gegend Schwedens hat das Auto sicher einen großen Stellenwert, vor vielen Häusern stehen mehrere. Oldtimer, Pickups, Quads und für den Winter Snowscooter garantieren die Mobilität. Greta Thunberg und Fridays for Future sind da weit weg. Wir quälen uns mit unseren Rädern durch Schweden und kommen übermüdet an unserem Zielort an.
22. August 2022: Tschüss Ostsee, tschüss E4!
Wir verlassen heute die ostschwedische Ostsee und wollen nun Schweden queren, um an die westschwedische Ostsee zu kommen. Doch erst einmal fahren wir an der Küste entlang. Nach Sundsvall, der ersten schwedischen Industriestadt auf unserer Reise, mit riesigen Industriegebieten mit Papier- und Aluminiumfabriken sowie Gewerbegebieten mit dem ersten IKEA, das wir in Schweden sehen. Und das erstmals Mc Donald statt Sybills.
Über einen Radweg auf der Autobahnbrücke kommen wir über die Ostsee. The Green mile, so wird dieser Radweg bezeichnet. Etwas paradox, ist es doch der erste Radweg, der nicht durch Wald führt. Dann kommt doch wieder Wald. Und der Radweg wird zu einem schmalen Schotterweg, der allenfalls für eine Mountainbike- Tour geeignet ist, aber nicht für unsere Räder. Dann sagen wir tschüss. Erst der Ostsee und dann der E4. Wir fahren ins Landesinnere und hoffen nun besser voran zu kommen. Die Landschaft wird offener, Weideflächen mit Pferden und Kühen wechseln sich mit Wald und Seen ab. Doch nur anfangs haben wir gute Straßen. Dann wieder Gravel. Mit besonderer Schikane. Es werden gerade 10 cm neues Material aufgebracht, aber noch nicht verdichtet. Kilometerweit eiern wir über das lose Material. Die Augen immer nur auf die Straße gerichtet.
Der Campingplatz am See weist uns ab. Zelte sind nicht willkommen. Ein Schelter ohne Tür mit zwei alten Betten ohne Bettzeug bietet man uns für 600 schwedische Kronen an. Solche Schelter findet man sonst überall umsonst. Nach dem Jedermannsrecht, schwedisch: allemansrätt, kann dort jeder, der mit Rad, zu Fuß oder mit dem Kanu unterwegs ist, ein bis zwei Nächte verbringen. Das gilt auch für Camping in der freien Natur. Viele Wohnmobilbesitzer nehmen das Recht auch für sich in Anspruch, aber es gilt nur für nicht mobilisierte Reisende. Wir finden eine wilde Campingmöglichkeit an einem kleinen Strand. Eine nette Dame füllt uns noch unsere Wasserflaschen auf. Der Abend ist gerettet.
23. August 2022 : Wir graveln in Mittelschweden – und Sarah ist am Ziel
Ein kurzes Bad im See nach dem Frühstück am einsamen Strand, was könnte schöner sein? Wir genießen den Vormittag, eventuell etwas zu lange, denn wir fahren erst gegen Mittag los. Sarah ist gestern in ihrem Wohnort Oldenburg angekommen. Sie hat es tatsächlich geschafft. In 20 Tagen vom Nordkap bis Oldenburg, 3580km, mit einem Tagesschnitt von 180km. Das sind mehr Kilometer als die Tour de France. Sarah hatte auch keinen Support, also keine Verpflegung , keine Hotels, keine Massagen, 30 Prozent Schotterpisten, Dreiviertel der Strecke gegen den Wind… Sie musste alles selbst an ihrem Rad transportieren und jeden Abend einen Schlafplatz suchen. Insgesamt wog ihr Gravelbike samt Gepäck 27 kg, das sind 20 kg mehr als die Ultraleichträder bei der Tour de France. Alle Achtung! Wir sind stolz auf unsere Tochter Sarah und gratulieren herzlich.
Wir graveln unterdessen (mit 1.500 km Rückstand!) durch Mittelschweden, kämpfen uns unzählige Anstiege hoch und haben manchmal das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Wenn dann schon Kranichzüge über uns zu ihren weiter südlich gelegenen Rastplätzen ziehen und uns überholen, kommt uns Schweden unendlich lang vor. Eine Schwedin hat vor Tagen mit Blick auf die Karte auf unserer Streckenfahne bemerkt, dass Schweden ja fast die Hälfte unserer Strecke ausmacht. Immerhin sind wir schon in der Mitte. Und genießen die atemberaubende Landschaft mit riesigen Seen und Bergen.
In dem Skiort Järvsö finden wir einen Campingplatz. Hier ist es zum ersten Mal etwas touristisch. Es ist auch nicht schon Ende August alles geschlossen. Es gibt auch echte Cafés und Restaurants. Im Winter ist hier ein riesiges Skigebiet und im Sommer ein Eldorado für Downhill-Fahrer. Wir testen die Downhill-Strecken lieber nicht. Wir wollen ja heil irgendwann im Süden ankommen. Die Kraniche haben dann längst in ihre Winterquartiere bezogen.

































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