09. November 2022
Wir müssen nochmal über den Pass von vorgestern. Er ist steil und es ist heiß. Bis Trapani benutzen wir Nebenstraßen. Die berühmte Stadt Erice auf einem 750m hohen Berg betrachten wir nur von unten im Vorbeifahren. In der Stadt der Treppen sind wir mit dem Rad fehl am Platz. In Trapani durchqueren wir die Altstadt bis zum Hafen. Dann geht es auf die Hauptstraße. Zeitweise verläuft parallel ein Radweg. Nicht befahrbar. Flächendeckend ist er übersät mit Glas und teilweise zugewachsen. Am Militärflugplatz fliegen zwei Düsenjets ganz niedrig über unsere Köpfe hinweg. Es schmerzt in den Ohren und Sabine hat Angst vor einem Hörschaden.
Nach dem Airport Trapani endlich die Erlösung. Ein richtiger Radweg an den Salinen am Meer entlang. Er führt uns bis zum Campingplatz von Mamma Colette. Er wurde uns von unseren Nachbarn heute morgen in El Bahira empfohlen. Der Empfang ist schon speziell. Wir bekommen als Willkommensgetränk ein kleines Glas Marsala, ein Süßwein aus der Gegend. Und einen großen Kelch zum Nachspülen. Sabine nimmt einen großen Schluck. Oh, was ist das, das ist ja Weißwein! Kein kaltes Wasser. Der Zeltaufbau klappt nun umso besser. Wir stehen unter Palmen in einem tollen Park. Eine richtige Idylle, wenn die Moskitos nicht wären.
Mamma Colette bietet auch Abendessen an. Besser als Kochen zwischen Moskitoschwärmen. Ralf und Hannelore sitzen schon an einem großen Tisch. Wir setzen uns dazu. Die beiden verbringen den Winter hier in ihrem Wohnmobil und sind Mamma Colettes Stammgäste. Ein Paar aus Wien gesellt sich noch zu uns. Hier ist jeder direkt willkommen, egal ob Radfahrer, Rundreisender, Kiter oder Surfer. Einige Gäste aus verschiedenen Ländern Europas sind schon länger hier. Und Mamma Colette spricht fließend mit allen in verschiedenen Sprachen. Es wird ein netter Abend. Das Abendessen ist köstlich und erst der Nachtisch… und super preiswert. Ralf und Hannelore haben sich einen schönen Platz ausgesucht, mit Familienanschluss an Mamma Colette. Aber ein halbes Jahr in Sizilien, nur weil es hier im Winter warm ist???
10. November 2022 – Zu den alten Griechen
Vor der Abfahrt gibt es bei Mamma Colette noch ein üppiges Frühstücksbüffet. Ist im supergünstigen Campingpreis inbegriffen. Wir stärken uns für die Weiterfahrt. Es geht meist am Meer entlang. Mit sehr wenig Verkehr. Hier an der Küste treffen wir auch wenig Menschen an. Im Sommer ist sicher mehr los. Es gibt kleine Ferienhäuser, die jedoch vergammelt und nicht sehr einladend aussehen. Es wird immer karger. Das könnte auch schon Afrika sein. Wir wollen zu den griechischen Tempeln von Selinunte. Unsere Strecken hier auf Sizilien sind nicht mehr so lang wie zu Beginn unserer Tour. Das ist nicht unserer Müdigkeit geschuldet. Die Tage sind einfach im November kürzer, wir müssen im Hellen irgendwo ankommen. Waren das Zeiten, als es in Skandinavien Tag und Nacht hell war. Die Länge unserer Strecken hängt auch von den Sehenswürdigkeiten ab. Wie z.B. die griechischen Tempel von Selinunte. Am Meer geht es nicht weiter. Wir müssen einen großen Bogen ins Landesinnere fahren. Es ist wieder grün. Olivenplantagen so weit man schauen kann. Und große Fabriken, die Olivenöl in Fässer abfüllen.
Plötzlich sind wir mitten in einem Flüchtlingslager. Rechts der Straße sind Zelte des Rotes Kreuzes aufgestellt und links gibt es ein riesiges Lager mit Zelten aus Planen und Decken. Es wimmelt von Menschen und wir müssen mittendurch. Sabine will umkehren, Klaus will weiter. Der Müll türmt sich meterhoch vor dem Lager. Wie unwürdig müssen Menschen leben? Sie kommen übers Meer nach Lampedusa und werden dann nach Sizilien verfrachtet. Hier warten sie auf eine Chance nach Nordeuropa zu kommen. Von hier kommt keiner weg.
Wir sehen die griechischen Tempel schon von weitem in einem riesigen parkähnlichen Gelände. Der Kontrast zwischen dem Flüchtlingslager und dem touristischen Highlight könnte nicht größer sein. Leider dürfen wir nicht mehr rein zur Akropolis. Dann halt morgen. Unser Zelt steht auf einem nicht sehr einladenden Campingplatz. Der einzige Camper, ein Deutscher, begrüßt uns und kocht uns einen Kaffee. Er verbringt seit 16 Jahren das Winterhalbjahr mit seiner Frau an diesem Ort. Nur wegen der Sonne. Hier könnten wir uns ein Überwintern noch weniger vorstellen als bei Mamma Colette.
11. November 2022 – Selinunte
Schnell frühstücken und los in das mit einem begrünten Wall umgebene Gelände des Archäologischen Parks. Es gibt zahlreiche Tempel und eine Akropolis, die vor Jahrhunderten während eines Erdbebens eingestürzt sind. Ein Tempel wurde 1956 wieder aufgebaut. An dem Ausmaß der Säulen und den Grundflächen der Tempel können wir uns ein Bild von der Pracht der antiken griechischen Stadt machen. Nach der Besichtigung müssen weiter. Bis Sciacca eine schöne Fahrt über kleine Straßen bergauf und bergab durch Weinberge und Olivenplantagen. Hier gibt es keine Flächen, die unbewirtschaftet sind. In Sciacca fahren wir bis zum Fischerhafen. Über hundert Boote liegen dort vor Anker. Aus einigen wird der Fang des Tages in Autos verladen. Bis zur Therme geht es im Ort steil bergauf. So steil, da hilft nur schieben. Es ist unangenehm. Dauernd fährt eine alte Rostlaube an uns vorbei und rußt uns mit ihren Auspuffgasen voll. Wir können kaum atmen. Oben stoßen wir direkt auf das Thermalbad. Es ist etwas in die Jahre gekommen.
Ab jetzt müssen wir auf die Hauptstraße. In den Freitagabendverkehr. Es gibt einen schmalen Seitenstreifen. Zum Glück. Doch unangenehm ist es trotzdem, wenn dauernd PKWs und LKWs wie auf einer Autobahn an uns vorbeibrettern. Genervt kommen wir auf dem Campingplatz in Seccagrande an. Und der ist auch nicht der Hit. Alles geschlossen, die Sanitäranlagen ungepflegt. Erneut spricht uns ein deutscher Überwinterer an. Auch er genießt hier die Sonne, statt im Allgäu Schnee im Winter. Wir würden gerne im Winter im Allgäu wohnen. Da könnten wir immer schnell zum Ski fahren. Heute wollten wir den sizilianischen Sommer im November genießen und noch an den Strand. Den Strand sehen wir nur im Dunkeln. Wir laufen durch den ausgestorbenen Badeort und suchen nach einem Restaurant. Alles geschlossen. Keine Saison. Auch die Supermärkte. In einem Souvenirladen verkaufen uns drei nette Sizilianerinnen Pasta, Wein und Soße. Also doch nicht hungern. Auf dem Rückweg finden wir dann doch noch eine Pizzeria. Die Nudeln können wir auch morgen kochen.
12. November 2022 – Agrigento und das Tal der Tempel
Heute gibt es ein paar Nebenstraßen parallel zur Schnellstraße. Leider ist ein großes Teilstück gesperrt, auch für Fahrräder. Es gibt wieder nur die Alternative Hauptstraße. Diese führt über einige hohe Brücken. Nur eine 30 cm hohe Leitplanke und ein kleines Geländer trennen uns vor dem Abgrund. Nicht schwindelfreien Radfahrern ist die Fahrt nicht zu empfehlen. Wir fahren weit rechts auf dem Seitenstreifen. Nur nicht runterschauen. Glücklicherweise weht kein Wind. Vor der Sehenswürdigkeit Scala dei Turchi, der Treppe der Türken, können wir die Hauptstraße verlassen. Am Belvedere sehen wir die weißen Kalksinterterassen, die wie eine Treppe vom Meer auf die Klippen führen. Über diese Treppe sollen die Türken Sizilien erobert haben. Auf eine Besichtigung vom Meer aus müssen wir verzichten. Wir müssten die Räder kilometerweit über den Strand schieben. Mit Gepäck wollen wir sie nicht abstellen. Ein Strandbesuch ist trotzdem drin. Aber zum Baden. Das Wasser ist auch im November noch nicht zu kalt.
Im Valle dei Templi bei Agrigento haben wir ein kleines Haus gebucht. Es ist etwas schwierig dort hin zu gelangen. Das Tal der Tempel liegt auf einem Berg. Wieder geht es steil bergauf. Durchhalten. Diesmal auf keinen Fall schieben. Wieder Abgase. Und oben können wir nicht weiter. Eine lange Brücke führt nach Agrigento hoch. Nicht für Fahrräder. Durchfahrt verboten. Dann halt wieder nach unten und über eine andere Straße die 200 Höhenmeter wieder hoch. Die Verkehrswege in Italien und Sizilien sind nur für Autofahrer gemacht. Radfahrer müssen schauen, wo sie bleiben. Endlich kommen wir an. Und sind begeistert: wir haben ein kleines Häuschen mit Blick auf Zitronen- und Orangenbäume. Im Hintergrund ein griechischer Tempel und in der Ferne sehen wir das Meer. Ein perfekter Ort im Tal der Tempel.































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